Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

men, die schlüssig darlegen können, dass sie nicht explizit betroffen sind, brauchen die Szenarien gar nicht erst durchzuarbei- ten.“ Außerdem verlange die Aufsicht bei der Betrachtung bis zum Jahr 2100 keine jährlichen Analysen, sondern lediglich alle drei Jahre. Allerdings sollen die Versicherungsunternehmen auch mindestens alle drei Jahre überprü- fen, ob zusätzliche Klimarisiken identifiziert wurden oder neue Me- thoden und Daten verfügbar sind. Ohnehin scheinen die Aufseher bei der Szenariobetrachtung nicht von Anfang an einen perfekten An- satz zu erwarten. „Es ist vielmehr ein gemeinsames Herantasten für alle Beteiligten, und 2022 ist eben der Start- punkt dafür“, dämpft Linda Michalk die Sorgen einiger Versicherer, ein perfektes Modell über 80 Jahre finden zu müssen. Der GDV sei hier auch als Verband unter- stützend aktiv. Beispielsweise habe er ein Hintergrundpapier zum Thema entwickelt und gemeinsam mit der BaFin ein Webinar mit diesen Inhalten angeboten. Letztlich geht es darum, dass die Unter- nehmen die wesentlichen Klimawandelrisi- ken in verschiedenen Szenarioanalysen identifizieren und entsprechenden Stress- tests unterziehen. Das so ermittelte breite Spektrum an möglichen Ergebnissen gibt dann dem Unternehmensmanagement ein Gefühl für die Unsicherheiten des Klima- wandels und einen groben Überblick über die möglichen Risiken, die sich daraus ergeben. „Dann können sich die Leitungs- organe Maßnahmen zur Minderung über- mäßiger ungewollter Risiken überlegen und entsprechend die Weichen stellen“, meint Treber. Daten, Daten, Daten Als Datenlieferant für die Klimawandel- szenarien bieten sich die Unternehmen an, die hier bereits in der Vergangenheit ein Geschäftsfeld gefunden haben. Der GDV bringt das NGFS (Network for Greening the Financial System) ins Spiel, ein Zusam- menschluss von Zentralbanken und Auf- sichtsbehörden, die auf freiwilliger Basis Best-Practice-Beispiele und Daten teilen, um zur weiteren Entwicklung des Umwelt- und Klimarisikomanagements beizutragen. „Das NGFS stützt sich auf Daten des Inter- nationalen Klimarates IPCC“, erklärt Tre- ber. Trotzdem bleibe die Datenbeschaffung für die langfristigen Betrachtungen eine Herausforderung. „Schon die Datenverfüg- barkeit bis 2050 ist nicht einfach. Das gilt erst recht für Daten, die bis 2100 reichen sollen. Die gibt es derzeit allenfalls für phy- sische Risiken wie Überschwemmungen und Stürme, aber noch nicht im Detail für Klimaszenarien“, so Treber. Versicherer können Risiken Ob sich Versicherer aufgrund der neuen Orsa-Anforderungen nun Sorgen machen müssen, sei dahingestellt. An und für sich sind Versicherer geübt darin, ein Preisschild auf Risiken zu kleben: Schließlich gehört es zu ihrem Geschäftsmodell, allgemeine Risi- ken wie Langlebigkeit, Pandemien und Naturkatastrophen zu bewerten, ebenso wie individuelle Risiken, z. B. Krankheits- oder Verkehrsunfallswahrscheinlichkeiten, Inva- liditätsrisiken etc. Neu ist, dass sie jetzt auch Preisschilder für spezifische Szenarien des Klimawandels entwickeln sollen, aber auch das haben Versicherer, die Naturkata- strophen versichern, bereits in der Vergan- genheit getan. Was sie aber weniger freudig stimmt, ist, dass sich bereits weitere Eska- lationsstufen in der Risikobetrachtung ab- zeichnen: von einer qualitativen Betrach- tung über die Darstellung von Schwellen- risiken bis hin zu einer immer stärker quan- titativ geprägten Betrachtung mit entspre- chenden Maßnahmen. Noch ist es zwar nicht so weit, dass die gewonnenen Er- kenntnisse über die Klimarisiken in die SCR-Berechnung einfließen, aber so man- cher Versicherer befürchtet, dass es lang- fristig darauf hinauslaufen wird. Auch die Banken Insgesamt trifft die Entwicklung einer im- mer weiter ins Detail gehenden Klimarisi- kobetrachtung nicht nur Versicherer, son- dern auch Banken. Von ihnen verlangt die Regulatorik die Einrichtung interner Prozes- se zur Sicherstellung der Risikotragfähigkeit (Internal Capital Adequacy Assessment Pro- cess, ICAAP) und zur Sicherstellung einer angemessenen Liquiditätsausstattung (Inter- nal Liquidity Adequacy Assessment Pro- cess, ILAAP). Für den aufsichtlichen Über- prüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) erhebt die Bundesbank jährlich zum Stich- tag 31. Dezember Informationen zum ICAAP und ILAAP der Institute. Aber trotz aller Befürchtungen angesichts der zunehmenden Komplexität klingen auch die Argumente der Regulierer überzeugend: „Was passiert, wenn eine große Flut kommt wie im Sommer in Deutschland? Wer trägt die finanzielle Last für Waldbrände in Aus- tralien oder Kalifornien? All dies hat gravie- rende ökonomische Konsequenzen, zum Beispiel wenn dadurch Vermögenswerte vernichtet werden und Gläubiger ihre Kredite nicht mehr bedienen können“, führt Dr. Sabine Mauderer, Mitglied des Vor- stands der Deutschen Bundesbank, die Ri- siken des Klimawandels für die Banken vor Augen. Fast noch dramatischer seien aber die transitorischen Risiken: „Welche Folgen hat es für Unternehmen und damit Banken, wenn Geschäftsmodelle plötzlich nicht mehr funktionieren, wenn der Klimawandel die Politik zu harten Maßnahmen zwingt? Irgendwann wird es solche politischen Ent- scheidungen geben, die Unternehmen dazu zwingen werden, ihre Geschäfte entspre- chend anzupassen“, gibt Mauderer zu be- denken. Insofern wird wohl der Trend nicht aufzuhalten sein, dass die Nachhaltigkeits- zahlenwerke immer weiter herunterdekli- niert werden müssen. Ob dann trotz dieser ausdifferenzierten Risikobetrachtung am Ende nicht doch aus dem Bauch heraus ent- schieden wird, sei dahingestellt – dann aber immerhin auf Basis eines sehr detaillierten Zahlenwerks. ANKE DEMBOWSKI » Welche Folgen hat es für Unternehmen und damit Banken, wenn Geschäftsmodelle plötzlich nicht mehr funktionieren? « Dr. Sabine Mauderer, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank 270 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com S T E U E R & R E C H T | SOLVENCY I I FOTO: © DEUTSCHE BUNDESBANK

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