Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

E s ist eine große Ironie im Finanzwesen, dass die älteste und allerwichtigste Anlageklasse der Welt auch diejenige ist, die am wenigsten verstanden und in die am wenigsten investiert wird“, erklärt Stuart Kirk, Global Head of Responsible Invest- ment, bei HSBC AM. Die Bedeutung des Kapitalstocks „Natur“ ist viel grö- ßer als vielfach angenommen. Schätzungen zufolge hängen mehr als 44 Billionen US- Dollar an Wertschöpfung – das ist rund die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung – von der Natur ab. „Das Bewusstsein um die Biodiversitätskrise ist vergleichbar mit dem, wo wir beim Klimawandel vor fünf bis zehn Jahren standen. Das Momentum dahinter ist enorm und wird von globalen Initiativen wie der ,UN-Dekade zur Wie- derherstellung von Ökosystemen‘ sowie der COP15 zur Biodiversität gefördert“, ergänzt Victoria Leggett, Head of Impact Investing der UBP, um zu betonen: „Es ist Zeit, bei Anlagen den Fokus von ,klima- neutral‘ um den Aspekt ,naturpositiv‘ zu erweitern.“ Für Ingrid Kukuljan, Head of Impact and Sustainable In- vesting bei Federated Hermes und Managerin des Federated Hermes Biodiversity Equity Fund, stellen die negativen Auswirkungen von Biodi- versitätsverlusten mittlerweile ein systemisches Risiko für die globale Wirtschaft und damit auch für Inves- toren dar, weshalb die Menschheit davon abgehen sollte, die Beständig- keit der Natur als selbstverständlich anzusehen. Großer Nutzen Zur Erinnerung: Unter Biodiversität (Biodiversity) versteht man kurz gefasst die biologische Vielfalt des Lebens in all seinen Formen auf der Erde. „Biodiversität ist definiert als Variabi- lität unter den lebenden Organismen jegli- cher Herkunft, darunter Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme – von Pflanzen und Bäumen bis hin zu einfachen Organismen und Tieren“, konkretisiert Abbie Llewellyn-Waters, Head of Sus- tainable Investing bei Jupiter AM. Diese Biodiversität liefert der Menschheit gesamthaft einen Nutzen in Form von grundlegenden Gütern und Dienstleistungen (zum Beispiel Lebensmittelproduktion, Wasserversorgung und -reinigung, Hoch- wasserschutz, CO 2 -Absorption etc.), den die OECD in einem 2019 veröffentlichten Paper („Biodiversity: Finance and the Eco- nomic and Business Case for Action“) mit einem jährlichen Wert in Höhe von 125 bis 140 Billionen US-Dollar beziffert. Das waren für den untersuchten Zeitraum bis zu 160 Prozent des weltweiten BIP. Die von der Natur gebotenen Gaben sind für uns unverzichtbar. Ökologen zufolge sind beispielsweise 75 Prozent der Pflanzen, die der menschlichen Ernährung dienen, auf die Bestäubung durch Tiere, insbesondere durch Insekten wie Bienen, angewiesen. Würmer fördern ihrerseits die Fruchtbarkeit von Böden, die dergestalt in Form gehalten wiederum Schutz gegen Erosion, Über- schwemmung oder Wüstenbildung bieten. „Diese ‚Ökosystemdienst- leistungen‘ sichern die Lebensmittel- und Wasserversorgung, regulieren das Klima und reduzieren die Umwelt- verschmutzung, ohne dass der Mensch dafür zahlen muss“, merkt UBPs Leggett an. Leider führen die exzessive indus- trielle Landwirtschaft und insbeson- dere der übermäßige Einsatz von Pes- tiziden zu sinkenden oder gar aus- sterbenden Bestäuberpopulationen und schädigen darüber hinaus die ori- ginäre Flora und Fauna agrarisch ge- nutzter Böden, die in der Folge auf- grund von Nährstoffmangel an Fruchtbarkeit verlieren. „Diese Aus- wirkungen werden über das gesamte natürliche Ökosystem hinweg spürbar sein, mit viel weiter reichenden Fol- Darüber, dass ohne intakte Natur auch keine Wirtschaft mehr funktionieren kann, besteht kein Zweifel. Dass man als Investor aber in diesem Zusammenhang auch den Faktor Biodiversität berücksichtigen muss, sickert erst langsam in das Bewusstsein vieler Akteure ein. Steigende Bedeutung Größere Investments sind geplant. Investmentstrategien auf Basis von Biodiversität finde ich … Investmentstrategien auf Basis von Biodiversität scheinen insti- tutionelle Investoren langsam, aber sicher interessant zu finden. Immer- hin gut zwölf Prozent der von „Institutional Money Online“ Befragten sind bereits entsprechende Investments eingegangen, 40 Prozent wollen dies zukünftig tun. Es gibt aber auch Skeptiker hinsichtlich dieses Nischenthemas: Fast jeder Vierte befindet Biodiversitätsstrategien als „uninteressant“ (24,6 %) oder hat sich damit „noch nicht beschäftigt“ (23,1 %). Quelle: Institutional Money Online, Erhebungszeitraum Mitte März bis Ende April 2022 » Biodiversität ist definiert als Variabilität unter den lebenden Organismen jeglicher Herkunft. « Abbie Llewellyn-Waters, Head of Sustainable Investing bei Jupiter AM Kapitalstock in Gefahr interessant, bin bereits investiert interessant, investiere zukünftig uninteressant habe mich damit noch nicht beschäftigt 12,3 % 40 % 24,6 % 23,1 % 202 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | B I OD I VERS I TY FOTO: © JUPITER AM, GMF

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