Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

L aut ifo-Chef Clemens Fuest sind wir in Europa bereits mit- tendrin in der Stagflation. Der Ökonom sah dieses Szenario Ende April nicht nur am Horizont auftau- chen, sondern bereits angekommen. Eine schrumpfende Ökonomie, verbunden mit hohen Inflationsraten, ist sozusagen der volkswirtschaftliche Super-GAU. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt, und trotzdem muss man die Zinsen anheben, um die Geldentwertung in den Griff zu be- kommen. Geprägt wurde das Kunst- wort „Stagflation“ in den 1970er-Jah- ren, als, ausgelöst durch die Ölpreis- krise, hohe Inflation und stagnierende Wirtschaftsleistung erstmals zeitgleich auftraten. In Deutschland wurden die höchste Inflationsraten 1973 und 1974 mit mehr als sieben Prozent (Österreich:  9,5%) verzeichnet. Zwischen 1970 und 1982 lagen die Inflationsraten acht Mal über fünf Prozent. Parallel dazu verzeich- nete man in vier Kalenderjahren kein oder ein negatives Wachstum. Bis vor Kurzem erschien ein solches Szenario unwahrscheinlich, vor allem weil die Inflationsraten hartnäckig tief waren. Es war die unglückliche Kombi- nation aus extrem lockerer Geldpolitik und den Lieferkettenproblemen infolge der Pandemie, die die Trendwende ein- läutete, mit der Ukrainekrise kam es nun zu einer Eskalation der Lage. Die Pro- bleme liegen auf der Angebotsseite, da die Unternehmen Rohstoffe zu deutlich höheren Preisen einkaufen müssen und bestimmte Vorprodukte gar nicht bezie- hungsweise nur eingeschränkt erhalten oder anderweitig und teurer beziehen müssen. Der Anstieg der Produzenten- preise in Deutschland auf Werte, die man zuletzt in den 60er-Jahren gesehen hat (siehe Grafik „30 Prozent im Jahres- vergleich“) , spricht Bände. Dem verringer- ten Angebot steht eine aufgeblähte Geld- menge gegenüber, sodass Inflation die logi- sche Konsequenz darstellt. Und dabei spricht man noch gar nicht von einer mög- licherweise steigenden Umlaufgeschwindig- keit des Geldes, die in den letzten Jahren gesunken ist. Denn sollte das Vertrauen der Bevölkerung in die Werthaltigkeit des Gel- des einmal nachlassen, dann kann man sich auf einen weiteren Inflationsschub gefasst machen. Nicht zuletzt deswegen übten sich die Zentralbanken lange Zeit darin, zu ver- künden, der Inflationsanstieg sei nur tempo- rärer Natur, auch wenn man zuletzt von Powell abwärts konzedieren musste, dass die Geldentwertung doch länger als gedacht andauern werde. EZB in der Bredouille Die Geldpolitik der EZB befindet sich meilenweit hinter der Kurve und muss nach den Zeiten der ultralaxen Politik in den nächsten Monaten den Kurs Richtung Nor- malisierung einschlagen. Allerdings ist die Wiederauferstehung eines Fed-Präsidenten Paul Volcker, der durch zweistellige Geld- Stagflation war ein Thema der 70er- und frühen 80er-Jahre, nun meldet sie sich zurück. Ökonomen studieren ihre Geschichte. Praktiker, die sie live erlebt haben, sind kaum noch aktiv. Wie soll man ihr begegnen? Entwicklung des BIP und der Inflation Year-over-Year-Veränderungen in Deutschland seit 1960 zeigen, dass wir heute die alten Höhen wieder erreichen. Immer wieder stagnierte in den 70er- und 80er-Jahren das Wirtschaftswachstum, während die Inflation Werte von sieben Prozent in Deutschland - Österreich sogar 9,5 Prozent in der Spitze - erreichte und bis in die 80er-Jahre Werte über sechs Prozent erreichte. Quelle: LBBW AM -6 % -4 % -2 % 0 % 2 % 4 % 6 % 8 % Inflation BIP Entwicklung in Prozent 2020 2015 2010 2005 2000 1995 1990 1985 1980 1975 1970 1965 1960 » Europa ist bereits mitten in der Stagflation. Die EZB muss jetzt ihre Geldpolitik zeitnah straffen. « Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts Ungeheuer im Anmarsch 176 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R AT E G I E N | S TAGF LAT I ON FOTO: © IFO INSTITUT – ROMY VINOGRADOVA 2019, GMF

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