Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

zur Erklärung des weitgehend verschwunde- nen Indexeffekts angeführt (siehe „Im Rau- schen verschwunden“, Institutional Money Ausgabe 4/2021, S. 148–156 ). Eine zweite Möglichkeit, die infrage kommen könnte, wäre eine vorzeitige Neu- tralisierung beziehungsweise ein Hedging der Anomalieportfolios nach den ersten ein bis zwei Wochen des Monats. Insbesondere bei Momentumeffekten wurde dann bereits ein Großteil der zu erwartenden Prämie rea- lisiert. Insgesamt ist aber bei allen Varianten auch eine möglichst kosteneffiziente Umset- zung der Transaktionen für die Ano- malieportfolios entscheidend, um in der Praxis tatsächlich eine positive Rendite zu erzielen. Das gilt insbe- sondere vor dem Hintergrund, dass sich die Nettorenditen der meisten Anomalien zunehmend im Rück- wärtsgang befinden. Drei Effekte Schon die zuerst beschriebene Studie von McLean und Pontiff lässt erkennen, dass viele Anoma- lien einen Mix aus drei Effekten darstellen. Zum einen Überoptimie- rungen beziehungsweise Verzerrun- gen etwa aufgrund der fehlenden Berücksichtigung multipler Hypo- thesentests, was Abweichungen zwischen In-Sample- und Post- Sample-Renditen verursacht. Zum anderen echte Mispricings, die sich durch den Rückgang der Renditen von der Post- Sample-Periode zum Zeitraum nach der Veröffentlichung approximieren lassen. Da- bei spielen Limits of Arbitrage eine Rolle und können verhindern, dass Fehlpreisun- gen ganz verschwinden. Und drittens risiko- basierte Anteile, die auch nach Veröffentli- chung als klassische Prämien dauerhaft be- stehen bleiben. Demnach können Anoma- lien im Lauf der Zeit in alternative Risiko- prämien übergehen (siehe dazu „Alles Al- pha ist vergänglich“, Institutional Money Ausgabe 3/2020, S. 172–174 ). Nicht unerwähnt bleiben soll eine Studie, nach der vor allem die im Zeitablauf gestie- gene Markteffizienz dazu beigetragen hat, dass Renditeeffekte verschwinden („Where Have the Profits Gone? Market Effi- ciency and the Disappearing Equity Anomalies in Country and Industry Re- turns“). Darin schreibt das Forschertrio um Adam Zaremba, dass keine Belege dafür zu finden sind, dass akademische Veröffentlichungen explizit für den Rückgang der Anomalien verantwort- lich sind. Zwar wurde dabei die Index- ebene analysiert – und für ein Univer- sum von Einzelaktien könnte es wiede- rum anders aussehen. Interessant ist aber dennoch, dass die Renditeeffekte in gro- ßen, entwickelten Märkten sowie in Märkten mit geringer idiosynkratischer Volatilität am stärksten zurückgingen. Hier sind die Limits of Arbitrage am ge- ringsten, und die Markteffizienz sollte damit am höchsten sein. Allerdings ist ei- ne genaue Trennung ohnehin schwierig, da Markteffizienz und wissenschaftliche Forschung interagieren, was auch die Studie von Guy Kaplanski bereits implizierte. Ewige Jagd Langfristig sollten in „effizient ineffizien- ten“ Märkten der Theorie nach jedenfalls alle durch Studien bekannten Anomalien verschwinden, die kein tatsächliches Risiko darstellen oder durch starke Limits of Arbi- trage geschützt sind. Die Tendenz dazu ist gegeben, da Investoren fortlaufend aus akademischen Stu- dien lernen und davon profitieren möchten. Aber vollständig „zer- stört“ wurden viele der dokumen- tierten Anomalien in der Praxis trotzdem noch nicht. Stattdessen zeigen sich interessante Anpas- sungsphänomene wie der Vorzieh- effekt eines Großteils der Renditen auf die ersten Tage des Monats, was wiederum darauf angepasste Strate- gien und damit eine gewisse Evo- lution ermöglicht. Gleichzeitig sind die ausgefuchsten Strategen, gewis- sermaßen die Raubtiere im Sinne der Adaptive Market Hypothesis, in diesem unendlichen Spiel schon längst auf der Jagd nach der nächs- ten „Beute“ beziehungsweise Ano- malie. DR. MARKO GRÄNITZ » Der erste Tag macht fast 30 Prozent der Rendite von bekannten Momentum-Anomalien aus. « Prof. Guy Kaplanski, Graduate School of Business Administration, Bar-Ilan University Vorzieheffekt Profitabler erster Tag des Monats bei veröffentlichten Anomalien Die Grafik zeigt mittlere, aufs Jahr hochgerechnete Renditen eines über 71 Anomalien aggregierten Long-Short-Quintil-Portfolios speziell für diejenigen Aktien, deren Gewichtung darin insgesamt gestiegen ist (bei denen Arbitrageure also auf eine Anomalie setzen). Untersuchter Zeitraum: 1973 bis 2018. Quelle: Kaplanski, G. (2021), The Race to Exploit Anomalies and the Cost of Slow Trading, S. 49 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % Nach Veröffentlichung Vor Veröffentlichung Vor Entdeckung Alle anderen Aktien Übrige Tage Erster Tag des Monats 36,3 % Durchschnittliche annualisierte Rendite (in %) » Eines wissen wir sicher: Die nächste große Investmentidee wird nicht von SSRN kommen. « Ronald N. Kahn, Global Head of Systematic Equity Research, BlackRock N o. 2/2022 | www.institutional-money.com 149 T H E O R I E & P R A X I S | REND I T EANOMAL I EN

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