Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

solches Signal auftritt. Doch ganz so ein- fach ist es nicht, denn Börse und Wirt- schaftsentwicklung sind nicht unbedingt im Gleichlauf. Selbst im Fall einer aussage- kräftigen Rezessionsprognose ist deshalb unklar, inwieweit sich der Markt damit „timen“ lässt. Im Jahr 2019 veröffentlichten Eugene Fa- ma und Kenneth French eine Untersuchung dazu („Inverted Yield Curve and Expec- ted Stock Returns“). Darin analysieren sie, ob es sich lohnt, Aktienpositionen bei Vorliegen einer inversen Zinsstruk- tur abzubauen. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Nein, es lohnt sich nicht. Infolge der Invertierung kam es über verschiedene betrachtete Zeiträu- me zu keiner generell schlechteren Ent- wicklung von Aktien gegenüber Trea- sury Bills, eher im Gegenteil. In den Tests wurden Monatsdaten im Zeitraum von 1975 bis 2018 betrachtet sowie sechs Länder, von denen aber nicht alle den gesamten Zeitraum umfassten. Für jeden Markt wurden 24 Strategien auf Basis von sechs Renditespannen (ein Monat, ein Jahr und zwei Jahre gegenüber fünf und zehn Jahren) und vier Prognosezeiträumen (ein, zwei, drei und fünf Jahre) verwendet. Methodisch wurde jeden Monat ein Port- folio erstellt, das je nach Prognosezeitraum zeitversetzt in Aktien (bei positiver Spanne) oder 1-Monats-Bills (bei Invertierung) an- legt. Dabei brachten auf Letztere ausge- richtete Portfolios fast durchweg negati- ve Durchschnittsprämien (siehe Tabelle „Kein Timing-Instrument“) . Die For- scher schlussfolgern daraus, dass die inverse Zinsstruktur keine klare Vorher- sage über künftige Aktienrenditen er- möglicht. Eher besteht die Gefahr, dass Anleger, die auf diese Weise regelbasiert aus Aktien in kurzlaufende Anleihen umschichten, die positive erwartete Aktienrisikoprämie einbüßen. Erfolgrei- ches Markt-Timing einfach nur anhand einer Invertierung der Zinsstrukturkurve scheint damit vom Tisch. Verzerrung durch QE Weitgehend unstrittig ist dagegen, dass eine Invertierung die Wahrschein- lichkeit einer baldigen Rezession deut- lich erhöht. Tatsächlich ging das bisher jeder Rezession seit den 1970er-Jahren voraus. Allerdings gibt es heute zusätz- liche Unwägbarkeiten, was diesen Zusam- menhang angeht. So schreiben Johannes Gräb und Stephanie Titzck im ECB Econo- mic Bulletin („US Yield Curve Inversion and Financial Market Signals of Recession“), dass sich die veränderte Notenbankpolitik recht unabhängig von den Wirtschaftsaus- sichten auf die Zinsstruktur auswirken und darauf basierende Modelle verzerren kann. So wurden die langfristigen US-Renditen seit der globalen Finanzkrise durch die Ankaufprogramme der Zentralbanken tiefer gedrückt, als sie ohne deren Einfluss stün- den (siehe Grafik „Adjustierte Perspektive“) . Deshalb könnte die Wahrscheinlichkeit einer Rezession ohne Berücksichtigung die- ses Sondereffekts in den Modellen über- schätzt werden. Verschiedene Maße Eine weitere Frage besteht darin, welche Zinsdifferenz eigentlich die „richtige“ ist. Laut Campbell Harvey sollten die Renditen zehnjähriger Treasury Notes gegenüber dreimonatigen Treasury Bills betrachtet werden. Allerdings wurde gerade in letzter Zeit in den Medien meist die Differenz von zehn und zwei Jahren verwendet. Zwar füh- ren beide Maße oft zu qualitativ ähnlichen Aussagen, doch zuletzt war genau das nicht der Fall. Dabei wurde in der Berichterstat- tung aus gutem Grund letztere Differenz diskutiert: Diese hatte invertiert, wenn auch nur für zwei Tage, während Campbell Harveys klassische Differenz von zehn Jah- ren gegenüber drei Monaten klar positiv blieb und sich sogar noch ausweitete (siehe Grafik „Ungewöhnliche Situation“) . Die Zinsstruktur war sozusagen steigend und invers zugleich. Harvey selbst bezog dazu Stellung und verweist darauf, dass der Theorie nach ein Anker am kurzen Ende notwendig sei. Sein darauf basierendes Modell zeigte alle der letzten acht US-Re- zessionen korrekt an und sollte deshalb » Die Zinsstrukturkurve fasst die Stimmung über das künftige Wachstum elegant zusammen. « Campbell R. Harvey, Professor of Finance, Duke University & NBER Research Ungewöhnliche Situation Betrachtet man beide Spreads, war die Zinsstruktur Anfang April 2022 zugleich steigend und invers. Laut Campbell Harvey sind für rezessionsrelevante Invertierungen zehnjährige Notes gegenüber dreimonatigen Bills zu betrachten (orange Linie). Doch im April konzentrierten sich viele Berichte auf die Differenz von zehn und zwei Jahren. Oft führen beide Maße zu qualitativ ähnlichen Aussagen, doch seit Ende 2021 war der Verlauf deutlich gegensätzlich. Das klassische Maß von Harvey blieb klar im positiven Bereich und stieg weiter an (kein Rezessionssignal), während die alternative Rendite- differenz kurzzeitig invertierte. Quelle: Federal Reserve Bank of St. Louis -1,0 % -0,5 % 0,0 % 0,5 % 1,0 % 1,5 % 2,0 % 2,5 % 10 Jahre – 2 Jahre 10 Jahre – 3 Monate 2015 2018 2017 2020 2019 2016 2021 2022 Renditedifferenz in Prozent 142 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | REZE SS I ONS I ND I KATOREN FOTO: © DUKE UNIVERSITY, FEDERAL RESERVE SYSTEM

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=