Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

E inst schien alles ganz ein- fach, als der Markt im klassischen Capital Asset Pricing Model (CAPM) den einzigen Faktor darstellte. Dann folgte das Drei-Faktor-Modell, in dem Value und Size hinzukamen. Im Lauf der Zeit wurden neben Momentum, Profitability und Investment viele wei- tere Faktoren entdeckt, mit denen Querschnittsrenditen von Aktien immer besser erklärt werden konnten. Mittler- weile liegt die in der wissenschaftlichen Literatur dokumentierte Anzahl deutlich im dreistelligen Bereich, sodass heute längst vom „Faktorzoo“ die Rede ist. Einige For- scher vermuten allerdings, dass viele „em- pirische“ Ergebnisse in Bezug auf Faktoren falsch sind. Sie argumentieren, dass sich die Entdeckungen in erster Linie auf übertriebenes Data Mining oder die fehlende beziehungsweise nicht ange- messene Berücksichtigung von Mehr- fachtests zurückführen lassen. Andere Autoren halten dagegen und schreiben, dass die große Mehrheit der Faktoren erfolgreich repliziert werden kann (Institutional Money 03/2021, „Gibt es eine Replikationskrise?“, S. 156–160) . Sollte man sich also über die hohe Zahl unterschiedlicher „Tiere“ im Zoo der Faktoren wundern? Oder handelt es sich um eine natürliche Vielfalt, die sich im Zeitablauf je nach wirtschaftlichem Umfeld verändern kann und deshalb nicht einfach auf den gemeinsamen Nenner einer Handvoll Faktoren verdichten lässt? Diese Frage ist Gegenstand einer Studie von Hendrik Bessembinder, Aaron Burt und Christopher Hrdlicka („Time Series Variation in the Factor Zoo“) . Die Autoren gehen davon aus, dass die Zahl relevanter Faktoren groß sein und im Lauf der Zeit schwanken kann, wenn die mit einzelnen Faktoren verbunde- ne Risikoprämie von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt. Aus dieser Perspektive wären Wirtschaft und Finanz- märkte in einer Weise komplex und dyna- misch, die sich kaum von klassischen Be- wertungsmodellen erfassen lässt. Entspre- chend können sich auch die Merkmale der Unternehmen, die für Investments zur Ver- fügung stehen, im Lauf der Zeit verändern. Hinzu kommt, dass Anleger in der Praxis – anders als in vielen Modellen angenom- men – unterschiedliche Kenntnisse, Anlage- ziele und Anlagehorizonte haben. Deshalb kann die Identität des marginalen Anlegers bei den einzelnen Aktien im Lauf der Zeit variieren. Eventuell brauchen die Marktteil- nehmer auch eine gewisse Zeit, um die Eine aktuelle Studie widmet sich der Frage, ob die deutlich dreistellige Anzahl bekannter Faktoren nicht etwas zu viel des Guten ist. Ein weiteres Paper dokumentiert erstmals ein gewisses Rauschen in den zugrunde liegenden Daten, und eine dritte Untersuchung analysiert die Halbwertszeit von puren Faktorportfolios. Dynamische Faktorbeiträge Die Anzahl signifikanter Faktoren schwankt im Zeitablauf stark. Die rote Linie zeigt, wie sich die Anzahl signifikanter Faktoren im Zeitablauf entwickelt hat (Signifikanzschwelle bei t-Wert von 1,96). Zeitweise waren demnach mehr als 100 Faktoren relevant. Die blaue Linie zeigt den Verlauf der Standardabwei- chung aller CAPM-Alphas auf Aktienebene. Diese ist der Studie nach ein gutes Maß für den Spielraum, in dem zusätzliche Faktoren abseits des Gesamtmarktes relevant sein können. Passend dazu bewegen sich beide Linien seit den 1950er-Jahren relativ gleichgerichtet. Für die Grafik wurden Regressionen der monatlichen Renditen der einzelnen Faktoren und Aktien über jeweils fünf Jahre auf die entsprechenden Überrenditen des Marktes durchgeführt, um das CAPM-Alpha der Faktoren bezie- hungsweise Aktien zu erhalten. Quelle: Bessembinder, H. / Burt, A. / Hrdlicka, C. (2022), Time Series Variation in the Factor Zoo, S. 37 0,0 % 0,5 % 1,0 % 1,5 % 2,0 % 2,5 % 18 15 12 09 06 03 00 97 94 91 88 85 82 79 76 73 70 67 64 61 58 55 52 49 46 43 40 37 34 1931 0 50 100 150 200 250 Anzahl signifikanter Faktoren Standardabweichung der CAPM-Alphas auf Aktienebene Rezessionen (nach NBER-Definition) Standardabweichung der CAPM-Alphas Anzahl Faktoren » Die Anzahl der Faktoren mit signifikanter Erklärungskraft variiert im Zeitablauf. « Prof. Hendrik Bessembinder, W. P. Carey School of Business, Arizona State University Neue Erkenntnisse 134 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | FAKTOREV I DENZ FOTO: © SHELLEY MARIE VALDEZ, SERGEY NOVIKOV | STOCK.ADOBE.COM

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