Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

gegenüber Unsicherheit eingestellten) Gläu- bigern auf diesem Markt ausgehen. Umschuldung statt Pleite Die von den drei Autoren beobachteten hohen Renditen lassen sich nicht ohne Wei- teres durch historische Ausfall- und Reco- very Rates erklären. Unter Verwendung der neu erstellten Ausfalls- und Restrukturie- rungsdatenbank gelingt es zu zeigen, dass Ausfälle von Staaten in der Regel nicht die Forderungen privater Gläubiger auslöschen. In jedem Jahrzehnt seit 1815 kam es zu einigen staatlichen Umstrukturierungen. Die einzige große Ausnahme ist der Zeitraum zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den 1970er-Jahren. Dies ist die Ära von Bretton Woods mit geschlossenen Kapitalbilanzen und sehr begrenzter privater grenzüber- schreitender Kreditvergabe, sodass es kaum zu neuen Ausfällen oder Umschuldungen privater Schulden kam. Seit den 1980er- Jahren ist die Zahl der Umschuldungen von Staaten stark angestiegen, was auch darauf zurückzuführen ist, dass die Zahl der unab- hängigen Staaten heute viel höher ist. Fast alle Zahlungsausfälle der letzten 200 Jahre wurden durch einen Schuldentausch mit einem Abschlag gelöst, der im Schnitt 44 Prozent ausmachte, wobei die Standardab- weichung 30 Prozent betrug (siehe Tabelle „Die große Haircut-Statistik“) . Einige Transaktionen beinhalten niedrige Abschlä- ge von weniger als 20 Prozent, während an- dere 80 Prozent oder mehr erreichen. Somit ähneln die historischen Haircut-Statistiken denen der letzten Jahrzehnte, obwohl sich die Institutionen und Märkte seit dem 19. Jahrhundert stark verändert haben. Rasche Kurserholungen Darüber hinaus stellte man fest, dass sich die Anleihenkurse während und nach den Ausfallphasen oft relativ schnell erholen, obwohl auch hier die Aufholbewegungen stark streuen. Im Durchschnitt holen die Gläubiger ihre Vorkriseninvestitionen, ge- messen am Wert ein Jahr vor dem Default, innerhalb von fünf Jahren nach dem Ausfall zurück; und in 25 Prozent der Fälle (oberes Quartil) holen die Investoren ihre Verluste sogar in weniger als einem Jahr auf. Die Grafik „Verlustaufholung nach Staats- pleiten“ basiert auf den Gesamtrenditen bei allen Staatsanleihenausfällen der Stichpro- be, für die es ausreichende Daten zu den Anleihenkursen gibt, und zwar sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang des Ausfalls. Dies sind 92 von insgesamt 161 Staatsan- leihenausfällen. Nicht berücksichtigt sind hier die vielen Ausfälle von Bankkrediten, für die keine Preise existieren. Natürlich gibt es auch Ausreißer mit großen Umwälzungen wie Kriegen, Revolutionen oder dem Zerfall von Imperien (z. B. Österreich-Ungarn, China oder Russland), in der Mehrzahl der „Sovereign Bonds since Waterloo“: Analyse aus Investorensicht Die von Meyer, Reinhart und Trebesch verwendete Datenbank könnte Basis vieler weiterführender Untersuchungen sein. D ie Arbeit des Autorentrios weicht in drei wesentlichen Punkten von der Literatur über Staatsschulden ab. Erstens nehmen sie eine andere Perspekti- ve ein, nämlich die eines Investors. Der Großteil der bisherigen Studien nimmt die Perspektive der Schuldnerländer ein und konzentriert sich oft auf die Determinanten und Kosten von Zahlungsausfällen. Der zweite Grund ist die große Zeitspanne und geografische Abdeckung der Studie; frühere Arbeiten zu Gläubigerrenditen haben kurze Stichproben oder eine be- grenzte Anzahl von Ländern untersucht. Der dritte Grund ist die Granularität der Daten, da damit die finanzielle Entwick- lung von mehr als 1.500 einzelnen Anlei- hen auf Monatsbasis inklusive Anleihen- kursen, Kuponzahlungen und ausfallbe- dingten Haircuts untersucht wird. Der ver- wendete Datensatz ist der bislang umfang- reichste zu Staatsschulden, der Eingang in die wissenschaftliche Analyse gefunden hat. Vorgängerstudien über langfristige Renditen von Assets verwenden in der Regel jährliche Daten von repräsentativen Benchmark-Anleihen oder aggregierten Indizes. Dieser Ansatz ist jedoch für exter- ne Staatsanleihen nicht praktikabel, da es auf diesem Markt verschiedene Arten von Ausfällen gibt und diese sich unterschied- lich auf die Anleihen auswirken können, was zu heterogenen Ergebnissen führt, wie Josefin Meyer 2021 in „Domestic ver- sus Foreign Debt: Discrimination in Sove- reign Debt Restructurings“ feststellte. Eine rigorose Berechnung des Total Returns von externen Staatsanleihen erfordert daher Preisdaten sowie Details über das Schick- sal jeder ausgefallenen Anleihe, insbeson- dere über den Zeitpunkt und den Umfang versäumter Zahlungen und detaillierte Restrukturierungsbedingungen. Diese Art von Ausfalldaten auf Anleihenebene ist viel schwieriger zu erheben und war vor dieser Studie nicht ohne Weiteres verfüg- bar. Der zweite wichtige Baustein ist das neue Archiv für externe Ausfall- und Re- strukturierungsereignisse. Die Autoren berechnen Haircuts für jede einzelne Anleihe und jeden Deal und kombinieren die Informationen über Re- strukturierungsergebnisse mit den monatli- chen Anleihenkursdaten. Außerdem ver- folgen sie ausgefallene oder teilweise ge- leistete Zahlungen auf monatlicher Basis. Da – wie hier festgestellt – die Kupons den Hauptbeitrag zur Gesamtrendite leis- ten, ist es entscheidend, die Kuponzahlun- gen genau zu registrieren, speziell wäh- rend längerer Ausfallzeiten. Aus den Daten geht hervor, dass Staaten, die mit ihren Tilgungszahlungen in Verzug gera- ten sind, häufig weiterhin Kupons ganz oder teilweise bedienen, was die Anleger- renditen in die Höhe treibt. Außerdem können die Kuponzahlungen für ein und dieselbe Anleihe im Verlauf einer Zah- lungskrise stark schwanken. Die detail- lierten Rückzahlungsdaten ermöglichen es den Kapitalmarktforschern daher, monat- liche Gesamtrenditereihen für jede einzel- ne Anleihe sowie repräsentative Länder- und globale Portfolios über lange Zeiträu- me zu erstellen. Drittens stellen sie eine umfangreiche ergänzende Datenbank zusammen, die einzigartige Einblicke in die Liquidität dieser Anlageklasse bietet. So wurden monatliche Geld-Brief-Spannen auf Anlei- henebene über zwei Jahrhunderte hinweg gesammelt, die 62 Prozent der Preisstich- probe (insgesamt 165.638 Beobachtun- gen) ausmachen. 128 N o. 2/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | S TAAT SANL E I HEN

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