Institutional Money, Ausgabe 2 | 2022

„Es muss in der aktuellen Krise legitim sein, auch über etwas längere Laufzeiten der Kernkraftwerke zu diskutieren. Uns wird jetzt vor Augen geführt, dass richtig und falsch etwas anderes ist als nachhaltig oder nicht nachhaltig.“ Priorisierung von Zielen Offenbar müssen wir uns verabschieden von eindimensionalen Zielen, die unabhän- gig voneinander bestehen. Vielmehr müssen wir eine konkreter als bisher geführte Dis- kussion über Zielkonflikte und Zielpriorisie- rung führen. Eine Steilvorlage lieferte dazu Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der im Mai Umweltverbände ein- dringlich bat, von einer Klage gegen den ra- schen Bau von schwimmenden LNG-Ter- minals in Wilhelmshaven abzusehen. Das ist das Resultat seiner Priorisierung zwi- schen den beiden Zielen Unabhängigkeit von Putins Gaslieferungen und Biotop- Schutz. Um eine Abwägung zwischen verschie- denen Zielen geht es auch bei der in der Vergangenheit eher unglücklich gelaufenen Diskussion über die Einbeziehung von Nu- klearkraft in die EU-Taxonomie. Eine offe- ner ausgetragene Diskussion wäre hilfreich für die Glaubwürdigkeit der Taxonomie ge- wesen. Es geht nicht nur darum, ob Atom- kraftwerke wünschenswert sind oder nicht, sondern darum, die Ziele CO 2 -Reduktion, günstige und verlässliche Stromerzeugung sowie die Unterstützung von Zwischen- Technologie-Lösungen gleichzeitig zu be- trachten. Jetzt ist zusätzlich das Ziel der Un- abhängigkeit in der Energieversorgung in den Vordergrund getreten. Wie gut geht es jetzt Frankreich im Vergleich zu Deutsch- land, das in Teilen gelähmt ist von der Vor- stellung, Putin könne den Gashahn abdre- hen? Auf der anderen Seite hat aber die Be- setzung der ukrainischen Atomkraftwerke durch die russischen Truppen auch vor Au- gen geführt, dass gezielte Angriffe auf stra- tegische Infrastruktur wie etwa Kraftwerke ein Risiko darstellen, das es ebenso zu be- rücksichtigen gilt. Wie man die verschiedenen Ziele dann gegeneinander abwägt, ist eine weitere Fra- ge. Womöglich einigt man sich auf einen Mindesterreichungsgrad der verschiedenen Hauptziele, und darüber hinaus können die Investoren, Asset Manager und Produktan- bieter unterschiedliche Gewichtungen vor- nehmen. Es bleibt die Erkenntnis, dass Ziele nicht gleichberechtigt nebeneinander stehen, sondern nach ihrer Relevanz zu sortieren sind und dass es hier wohl keinen One-fits- all-Maßstab geben wird. Auch Themen, die es in den Medien und in der Gesellschaft in letzter Zeit weit nach oben geschafft haben, sind in die Zielprio- risierung einzubeziehen. Womöglich hatte man es sich zu komfortabel eingerichtet mit Diskussionen, ob und wie zu gendern ist (mit Sternchen oder mit Doppelpunkt?), welche Toilette Transgender-Menschen be- nutzen sollen, und auch dem Juchtenkäfer wurde im Rahmen des Bahnprojekts Stutt- gart 21 thematisch womöglich mehr Raum eingeräumt, als es seinem Beitrag zur Bio- diversität entspricht. Mit Ausbruch des Krieges wurde deutlich, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Die 20 Millionen Euro, die beim Stuttgart-21-Pro- jekt für den Schutz des Juchtenkäfers ausgegeben wurden, weil zwei Bäume, auf denen er saß, zu untertunneln wa- ren, können nicht mehr für andere wich- tige Ziele eingesetzt werden. Neue alte Opportunitäten Bei all den neuen Überlegungen, die jetzt anstehen, wären Asset Manager keine guten Vermögensverwalter, wenn sie für die Zeit nach der viel beschwo- renen Zeitenwende nicht auf die Pirsch nach Opportunitäten gehen würden. „Der Scheinwerfer auf Nachhaltigkeits- risiken ist mit dem Krieg nur noch glei- ßender geworden. Energiepolitische Ab- hängigkeiten, Nahrungsmittelknappheit und die Krisenpolitik von Staaten und Unternehmen lassen ESG-Themen noch drängender erscheinen und sorgen für deutlich attraktivere Konditionen bei Infra- strukturprojekten, gerade bei erneuerbaren Energien, regenerativer Landwirtschaft und der Reflexion von Lieferkettenabhängig- keiten“, erklärt Wiebke Merbeth, Leiterin Public Affairs & Nachhaltigkeit bei Bayern- Invest Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH. Auch der Vermögensverwalter Pictet As- set Management, der zahlreiche Themen- fonds anbietet, fühlt sich in seiner Themen- definition für die Zukunft gut aufgestellt. „Unsere Themendefinition orientiert sich an lang laufenden Entwicklungslinien (Mega- trends) und zielt auf Unternehmen ab, die zu einem bestimmten Thema als Anbieter von Produkten oder Lösungen auftritt. Hier- bei werden häufig Nachhaltigkeitsaspekte berührt, besonders bei den Themen im Um- weltbereich wie Wasser, saubere Energie, Holz, Umwelttechnologie, Ernährung. Der Fokus liegt auf der Lösung von Mensch- heitsproblemen, nicht auf kurzfristigen Her- ausforderungen wie der Erdgasversorgungs- sicherheit im nächsten Winter“, erklärt Wal- ter Liebe. Bei den Themenfonds sieht er da- her keinen Anpassungsbedarf. Die Neuorientierung macht auch vor den Regulatoren nicht halt, denn auch sie gehen offenbar in Klausur, um ihre Sicht auf die Themen nachzuschärfen. Angesichts des » Der Scheinwerfer auf Nachhaltig- keitsrisiken ist mit dem Krieg noch gleißender geworden. « Wiebke Merbeth, Leiterin Public Affairs & Nachhaltigkeit bei der BayernInvest Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH » Ich glaube, dass die Macht des Kapitalmarktes zu hoch eingeschätzt wird, vor allem bei vielen sozialen Fragen. « Jennifer Wu, Global Head of Sustainable Investing bei J.P. Morgan Asset Management N o. 2/2022 | www.institutional-money.com 101 UKRA I NE UND E SG

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