Institutional Money, Ausgabe 1 | 2022

prozesses. Im Übrigen erinnert mich man- che Kritik an Nachhaltigkeits-ETFs an die Anfänge der ETF-Branche. Was meinen Sie konkret? Stephen Cohen: Noch vor zehn Jahren hieß es über Indexinvestments, man könne sie nicht kaufen, sie seien zu starr und darüber hinaus viel zu einfach gestrickt. Außerdem würden sie sich nicht schnell genug bewegen, was notwendige Anpassungen des Portfolios oder Veränderungen im jeweils verfolgten Index angeht. Viele Berater haben deshalb infrage gestellt, dass sich ETFs sinnvoll in einem Kundenportfolio einsetzen lassen. Ähnliches hört man heute manchmal in Bezug auf ESG-ETFs. Dabei zeigt der enor- me Erfolg, den die ETF-Branche in den ver- gangenen Jahren erzielen konnte – leicht ablesbar an den hohen Mittelzuflüssen –, dass ETFs sich durchaus als sinnvoller Bau- stein innerhalb eines Gesamtportfolios eta- bliert haben. Wollen Sie sagen, dass es auf die Mischung ankommt? Stephen Cohen: Das wäre mir zu einfach. Aber ich glaube, dass wir die fundamen- talen Überzeugungen, die lange Zeit vorge- herrscht haben, hinter uns gelassen haben. Es geht schon lange nicht mehr um entwe- der aktiv oder indexgebunden gemanagt. Aus diesem Grund gebe ich Ihnen insofern recht, dass sich große und erfolgreiche Port- folios heute aus einer Mischung von aktiv gemanagten Fonds und ETFs zusammen- setzen, auch im institutionellen Geschäft. Außerdem sind vermehrt alternative Invest- ments und Anlagen in den Privatmärkten hinzugekommen. Die wesentliche Ent- scheidung hat sich hin zur Frage verlagert, wie man das bestmögliche Portfolio in Bezug auf die Performanceerwartung und die Risikobereitschaft eines Investors zu- sammenstellt. Es geht wie gesagt um das Ergebnis des Gesamtportfolios, nicht um das dafür verwendete Produkt. Bleibt zum Schluss noch die Frage nach den generellen Herausforderungen, denen ein institutioneller Investor gegenübersteht. Stephen Cohen: Ich denke, dass man schon von einer Zeitenwende sprechen kann, die die kriegerische Auseinandersetzung in der Ukraine mit sich bringt. Der Krieg wird dazu führen, dass das Wachstum weltweit deutlich geringer ausfallen wird, als zu Beginn des Jahres noch zu erwarten gewe- sen ist. Gleichzeitig steigt die Inflation und bringt die ohnehin unter Druck stehenden Notenbanken zusätzlich in Bedrängnis. Die amerikanische Federal Reserve hat in Reak- tion auf deutlich steigende Preise dennoch die Zinsen auf einen Satz von 0,25 Prozent erhöht, was andererseits im historischen Vergleich immer noch als sehr zurückhal- tend zu werten ist. Und in Europa? Stephen Cohen: Letztlich dürfte Europa wirt- schaftlich am stärksten betroffen sein, was die Folgen der verhängten Sanktionen und die zunehmende Gefahr einer Energie- knappheit angeht. In einer Welt, in der andere Zentralbanken ihre Geldpolitik eher straffen als lockern und in der die Regierun- gen der westlichen Welt auch fiskalpolitisch noch weniger Spielraum als vor zwei Jahren am Beginn der Corona-Pandemie haben, hält sich die EZB noch weiter zurück, was mögliche Zinsanhebungen betrifft. Unab- hängig davon steigen die Energiepreise wei- ter, und es tun sich neue Lieferkettenpro- bleme als Folge des Krieges, aber auch auf- grund von neuen massiven Corona-Lock- downs in Asien auf. Die Gefahr einer wirt- schaftlichen Abschwächung ist damit nicht mehr auszuschließen. Insgesamt spricht das für eine weiterhin sehr hohe Volatilität an den Aktienmärkten. Und Anleiheninvesto- ren werden sich aufgrund der enorm hohen Inflation auch künftig noch auf eine deut- lich negative Realverzinsung einstellen müssen. Auf absehbare Zeit macht das aus meiner Sicht ein professionelles Portfolio- management unerlässlich. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Anleiheninvestoren werden sich aufgrund der enorm hohen Inflation auch künftig noch auf eine deutlich negative Realverzinsung einstellen müssen. « Stephen Cohen, EMEA-Chef von BlackRock 62 N o. 1/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | S T E PHEN COHEN | B LACKROCK FOTO: © CHRISTOPH HEMMERICH

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