Institutional Money, Ausgabe 1 | 2022

BR I EF DER HERAUSGEBER 4 N o. 1/2022 | www.institutional-money.com W er die Finanzmärkte schon einige Jahren beob- achtet, kann sich an die wiederholt vorgebrach- ten Warnungen erinnern, wonach eine Noten- bankpolitik des billigen Geldes früher oder später zu Inflation führen müsse. Dem lange Zeit – berechtigter- weise – vorgebrachten Gegenargument, wo sie den bliebe, die In- flation, begegneten die Warner mit dem Bild der Ketchupflasche. Wegen der hohen Viskosität ihres Inhalts kommt – durchaus über längere Zeit hinweg – nichts heraus, auch wenn man die Flasche mit nach unten ge- richteter Öffnung über den Teller hält. Erst zwei bis drei beherzte Schläge auf den Flaschenboden befördern – voilà – mit einem Schlag 30 Prozent des Flascheninhalts auf die Pommes. Mittlerweile sieht es ganz danach aus, dass wir uns nun in dieser Phase des Flaschenexperiments be- finden. Die Frage lautet nur: War es das schon, oder ist das nur der Anfang? Bis vor Kurzem war von Experten aus unterschiedlichen Lagern zu hören, dass es sich um vorübergehende Effekte handle. Die Begründung dafür ist bekannt – Lieferkettenprobleme aufgrund der Pandemie- maßnahmen – und plausibel. Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine ist nun aber die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass uns die Preisanstiege länger begleiten werden; auch wenn wieder genug elektronische Bauteile für Kühlschränke und Autos geliefert wer- den können. Und wenn Russland und die Ukraine als Energie- und Nahrungsmittellieferanten ausfallen, trifft das die Bevölkerung praktisch weltweit. Preisanstiege in diesen Sparten sind bekannt- lich politisch besonders heikel. Man kann jetzt schon davon aus- gehen, dass die Arbeitnehmervertreter in den Lohnrunden dieses Jahres besonders hartnäckig sein werden. Parallel dazu liegen aber auch Warnindikatoren wie eine immer flacher verlaufende Zins- strukturkurve vor, die eine vor uns liegende Rezession zunehmend wahrscheinlicher machen. Die Zahl der Stimmen, die eine auf uns zukommende Stagflationsphase befürchten, wächst daher. Institutionelle Anleger wissen das natürlich längst. Bereits im Herbst 2021 ergab die jährliche Großanlegerumfrage von Natixis, an der 500 Institutionen – von Altersvorsorgeeinrichtungen über Versicherungen bis hin zu Notenbanken – teilnahmen, dass die Hit- parade ihrer Sorgen für 2022 von Inflation über Zinspolitik bis zu hohen Bewertungen und ebenso hohen Volatilitäten reichte. Den Akteuren war damals bereits klar, dass von „Lieferkettenproble- men“ über „Notenbanken ohne weitere Zinssenkungsspielräume“ bis zum nach wie vor schwelenden „Konflikt zwischen China und den USA“ mehr belastende als unterstützende Faktoren das Jahr 2022 kennzeichnen würden – einen Einmarsch Russlands in der Ukraine hatten die meisten Teilnehmer höchstwahrscheinlich da noch gar nicht auf der Rechnung. Die stärksten Bauchschmerzen sollte uns dabei wohl die Situa- tion der Notenbanken bereiten, denn erstmals seit zwei Jahrzehnten scheint es aus heutiger Sicht nicht mehr möglich zu sein, die Pro- bleme in Geld zu ertränken. Die schon seit Langem gehegte Be- fürchtung, dass den Zentralbanken das Pulver ausgehen könnte, wenn die nächste Krise anbricht, hat sich nun bewahrheitet. Das ist auch gar nicht überraschend, denn natürlich hat jede Sache ihren Preis, und wenn man kurzfristig schmerzhafte Anpassungen nach Fehlentwicklungen wie Überschuldung oder Konjunktureinbrü- chen infolge von spekulativen Übertreibungen (Subprimekrise) vermeidet, indem man Märkte mit Geld flutet, wird ja das zugrun- de liegenden Probleme nicht gelöst. Auch in diesem Zu- sammenhang begleitet uns seit vielen Jahren das Bild des Drogensüchtigen, dessen Krankheit man eben nicht durch Erhöhung der Dosis heilen kann. Es ist angesichts des jüngsten Kurswechsels der EZB klar, dass man das nun erkannt hat und gegenzu- steuern versucht. So traurig es ist, eröffnet der Krieg in Ost- europa leider auch die Mög- lichkeit, sehr unpopuläre und schmerzhafte Maßnahmen zu setzen, denn die Verantwortung dafür kann man dem Aggressor zuweisen. Angesichts des Dramas in der Ukraine wird die Bevöl- kerung im Westen viel eher als unter normalen Umständen bereit sein, unvermeidliche Einschnitte hinzunehmen – die Diskussion zum Thema „Frieren für den Frieden“ zeigt hier möglicherweise die Richtung an. Wir hoffen, Sie in diesem Jahr am Institutional Money Kongress am 1. und 2. Juni in Wiesbaden begrüßen zu dürfen. Zu diskutieren gibt es mehr als genug. Das Ketchup ist aus der Flasche Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=