Institutional Money, Ausgabe 1 | 2022

Klares Dementi S&P Dow Jones ließ den Vorwurf des angeblichen Verkaufs von Indexplätzen nicht auf sich sitzen und dementierte das Ganze entschieden: „Dieses Paper, das noch keinem Peer-Review-Prozess unterzo- gen wurde, ist fehlerhaft und enthält eine Reihe von irreführenden und ungenauen Aussagen über den S&P 500, seine Metho- dik und Regeln sowie über die Auswirkun- gen von Indexaufnahmen.“ Man weist da- rauf hin, dass der S&P 500 seit nunmehr 64 Jahren eine unabhängige, transparente und objektive Benchmark für US-Large- Caps darstelle. In einem Telefonat versicherte April Kabahar, Global Head of Communications, dass es sich beim Rating- und Indexge- schäft um zwei komplett getrennte Unter- nehmensbereiche handelt. Zudem gebe es Richtlinien und Verfahren, die sicherstellen, dass beide Bereiche unabhängig vonein- ander betrieben werden. Sie nannte auch konkrete Ungenauigkeiten, die man in der Studie entdeckt hat. Von uns darauf angesprochen, hatten die Studien- autoren wiederum gute Antworten. Hinter den Kulissen scheint es also gewaltig zu brodeln. Wenn wir nun annehmen, dass sowohl die Forscher weitgehend sauber gearbeitet haben als auch bei S&P kein tatsächlicher Inter- essenkonflikt besteht, wären dann auch andere Erklärungen für den statistischen Zusammenhang denk- bar? Vielleicht ist im Rahmen po- tenzieller Indexaufnahmen das The- ma in den Köpfen der Mitarbeiter der jeweiligen Unternehmen prä- senter, die Kreditratings anfragen. Durch den Indexbezug ist S&P in dieser Phase vielleicht einfach die bekanntere Marke, sodass dort mehr Geschäft generiert wird. Die Autoren halten das zwar für unwahrschein- lich, da der Bekanntheitseffekt grundsätz- lich wirken müsste und nicht nur während des Zeitfensters einer potenziellen Aufnah- me. Dennoch ist der Gedanke interessant, ob ein umgekehrter Effekt bestünde, wenn der wichtigste Index der Welt nicht der S&P 500 wäre, sondern der Moody’s 500. Fraglich ist aber auch, ob es für die Un- ternehmen wirklich einen Unterschied macht, ob sie im S&P 500 gelistet sind. An- gesichts des weitgehend verschwundenen Indexeffekts (siehe „Im Rauschen ver- schwunden“, Institutional Money 04/2021, S. 148–156) gibt es jedenfalls aus Sicht der Aktienrenditen keinen starken Grund mehr, unbedingt im S&P 500 gelistet zu sein. Hin- zu kommt, dass im Vorfeld nicht unbedingt klar ist, ob und wann genau „Plätze frei werden“. Methodische Schwachstellen las- sen sich in der Studie also nicht ausschlie- ßen. Andererseits sind auch Ratingagenturen keine Engel. In der Finanzkrise spielten sie zumindest eine fragwürdige Rolle. Eine Vielzahl von Papieren wurde lange Zeit günstig bewertet, in der Folge verloren sie dann aber dennoch einen Großteil ihres Werts. Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es vereinzelt Fälle von Ungereimthei- ten. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete, zahlte Morningstar Credit Ra- tings im Jahr 2020 wegen eines Interessen- konflikts 3,5 Millionen Dollar für eine Eini- gung mit der SEC, ohne jedoch dabei ein Fehlverhalten einzugestehen. Neben dem möglichen Interessenkonflikt decken die Studienautoren auf, dass es einen Unterschied in der langfristigen Ent- wicklung der Aktienkurse der drei Gruppen von Aufnahmekandidaten gibt (siehe Grafik „Performancenachteil“) . Demnach wiesen die diskretionären Zu- gänge über drei Jahre nach Aufnahme die schlechteste relative Rendite auf. Die Grup- pe der rein regelbasierten Zugänge lief um 640 Basispunkte besser, und die eigentli- chen, aber nicht umgesetzten regelbasierten Aufsteiger hätten immerhin um 300 Basis- punkte outperformt. Die beschriebene Vor- gangsweise bei Tesla war demnach zwar ein extremes Beispiel, aber letztlich Teil eines systematischen Effekts, der Indexanleger im Vergleich zu rein systematischen Entschei- dungen Rendite kostet. Wie diese Geschichte ausgeht, ist vorläu- fig offen. Aber schon heute zeigt die Dis- kussion über mögliche Interessenkonflikte, dass diskretionäre Entscheidungsspielräume im Zusammenhang mit einer weltweit aner- kannten Benchmark, deren Zusammenset- zung viele Milliarden an investier- tem Kapital beeinflusst, heikel sind. Unabhängig davon, ob sich der be- schriebene Verdacht bewahrheitet, können Ermessensspielräume bei der Indexzugehörigkeit zu Ineffi- zienzen bei der Allokation von Ressourcen sowie niedrigeren Ren- diten für passive Anleger führen. Allein das wäre schon Grund ge- nug, (endlich) auf eine klare – rein regelbasierte – Methode umzustei- gen und allen Spekulationen damit einen Riegel vorzuschieben. Wis- senschaftler sprechen sich schon lange dafür aus, vollständig und ausnahmslos regelbasiert zu ent- scheiden. Auch angesichts der zunehmenden Macht der großen Indexanbieter wäre dieser Schritt zu begrüßen. DR. MARKO GRÄNITZ » Dieses nicht begutachtete Paper ist fehlerhaft und enthält irreführende und ungenaue Aussagen. « April Kabahar, Global Head of Communications, S&P Dow Jones Indices Performancenachteil Vergleich der drei Gruppen von (Nicht-)Zugängen Dargestellt sind die durchschnittlichen kumulativen Überrenditen für drei Gruppen von Aktien, die sich aus regelbasierten und diskretionären Entscheidungen ergeben, jeweils ab ihrem (eigentlichen) Aufnahmemonat. Eine komplett regelbasierte Lösung wäre demnach optimal. Quelle: Li, K. / Liu, X. / Wei, S.-J. (2021), Is Stock Index Membership for Sale?, NBER Working Paper 29365, S. 50 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 60 48 36 24 12 0 Diskretionäre Aufnahmen Diskretionäre Nicht-Aufnahmen Regelbasierte Aufnahmen Monate nach (eigentlicher) Aufnahme Kumulative Rendite in Prozent N o. 1/2022 | www.institutional-money.com 145 T H E O R I E & P R A X I S | B ENCHMARKS

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