Institutional Money, Ausgabe 1 | 2022

könnte jedoch zu radikal gefasst sein, führt doch genau dieser Datenreichtum zu einem Spannungsfeld: Inwieweit ist man bereit, als potenziell gläserner Kunde auch noch zum gläsernen Kreditnehmer zu werden? Genau diese Vertrauensfrage wird laut BIS regional unterschiedlich beantwortet (siehe Grafik „Vertrauenssache“) . Stellt man etwa in den USA die Frage, inwieweit man einer Institution zutraut, mit privaten Daten umzugehen, so erfahren traditionelle Finanzunternehmen von 60 Prozent der Befragten „hohes Vertrauen“, während der Prozentsatz bei Big Tech hier nur rund zehn Prozent erreicht. Spiegelbildlich ist das Ver- trauen gegenüber Big Tech in knapp 60 Pro- zent der Fälle „gering“ ausgeprägt, bei rund 30 Prozent fällt das Vertrauen „halbwegs“ aus. Dass den traditionellen Finanzinstituten in puncto Privatsphäre mehr Vertrauen ein- geräumt wird, stellt einen weltweiten Trend dar, insgesamt sind jedoch die Bedenken bezüglich Datensicherheit in Europa am stärksten, in Asien, Afrika und Lateinameri- ka relativ gering ausgeprägt. Verdrängungsmechanismen Sektoral gesehen ist die Frage am span- nendsten, ob Big Tech angesichts seiner Datenhoheit auch tatsächlich herkömmliche Banken aus dem Markt verdrängen kann beziehungsweise ob die bereits erwähnte Befürchtung realistisch ist, wonach Banken und Versicherungen allein auf den schlech- ten Krediten „sitzen bleiben“. Um es vorwegzunehmen: Dieser Ver- dacht scheint nur bedingt schlagend zu wer- den (siehe Grafik „Wie der Kuchen aufge- teilt wird“) . Zuerst einmal liegt das an der Möglichkeit, Kredite bereitzustellen: „Hier sind die Kapazitäten von Big Tech ziemlich eingeschränkt. Da sie keine Banklizenz haben, können sie kein Guthabengeschäft führen, das wiederum notwendig ist, um großflächig Kredite zu vergeben“, wie Parigi von der Universität Padua erläutert. Das erklärt wiederum, warum Embedded Finance bislang vor allem im KMU- und Privatkundenbereich reüssiert. In diesem Bereich ist es aber tatsächlich so, dass die problematischen Kredite allein im traditionellen Finanzsektor bleiben. Das liegt an den zwei möglichen Ursachen für einen Kreditausfall, die wir hier „echte Zah- lungsunfähigkeit (EZU)“ und „strategischen Zahlungsausfall (SZA)“ nennen wollen. EZU kommt im Big-Tech-Banking nicht vor, da die Datenqualität so ausgestaltet ist, dass eine potenzielle Zahlungsunfähigkeit in der Regel am historischen Zahlungsverlauf innerhalb des eigenen Ökosystems identifi- ziert werden kann. So wird beispielsweise Amazon einem Kunden mit gesperrter Kre- ditkarte eher kein Zahlungsziel einräumen. Strategische Defaults Strategische Zahlungsausfälle treten auf, wenn es für einen liquiden Kunden lukrati- ver ist, eine Zahlung bewusst nicht zu leis- ten, als den Kredit zu bedienen. Diese Stra- tegie kann in weit gefassten makroökono- mischen Ökosystemen funktionieren. Ein Einzelhändler, der hingegen Amazon als Vertriebs- und Kreditplattform nützt, wird aber bei ausreichender Liquidität keinen » Herausforderungen, was Marktdominanz und Datenschutz betrifft, legen speziell in der EU, den USA und China neue Regelwerke nahe. « BIS Bulletin No 45, „Regulating big techs in finance“ Wie der Kuchen aufgeteilt wird Links das Szenario eines Big-Tech-Markteintritts in den Kreditmarkt, rechts ein Szenario, in dem Big Tech Daten an den Finanzsektor öffentlich verkauft. Die linke Grafik bildet die Kundenbewegung nach dem Eintritt von Big Tech in den Firmenkreditmarkt ab. Berücksichtigt werden mit R B und R(s ) die Rückzahlungen an die Banken respektive an Big Tech. Y stellt den Firmen-Output dar, p deren Erfolg, der von 0 bis 1 geht. Hinzu kommen die Signal- und Störvariablen s und ɛ . Die rechte Grafik bildet ab, was passiert, wenn Big Tech Kreditdaten an den gesamten Bankenmarkt liefert – etwa über eine Ratingagentur. Die blaue Informationsfunktion bildet die dadurch entstehende informations- bedingte Beschränkung ab. Insolvente Unternehmen links von 1/Y erhalten keinen Kredit. Zahlungsfähige Unternehmen links von p* erhalten nur eingeschränkt Kredit, da die hohen risikobedingten Rückzahlungskosten R(p) den Kreditnehmer zu einem strategischen Default motivieren könnten. Da alle Banken dieselben Informationen haben, gilt R(p) für den gesamten Markt. Solvente Unternehmen werden also vom Kreditmarkt ausgeschlossen. Die Autoren halten eine private Weitergabe von Kreditunternehmen deshalb für makroökonomisch sinnvoller, da R(p) dann flexibler wird und alle Unternehmen rechts von 1/Y am Kreditmarkt teilnehmen können. Im abgebildeten öffentlichen Szenario werden nur die Unternehmen rechts von p* in den Kreditmarkt inkludiert. Die Kosten sinken mit der Höhe des Firmenerfolgs p . Quelle: Studie „Big Techs vs. Banks“ p 0 1 p b 1 Y 1 Y + ε p B p B p 0 1 Y= = –+ ρ 1 –+ ρ + ε 1 R B + 1 Y p b = R B + 1 Y p(Y – ( ρ – 1)) – 1 ≥ R(p) p* : p(Y – ( ρ – 1)) – 1 = 1 p -1 1 Y p* 1 p R(p) = 1 p R B 0 Gruppe 1: An Banken; strategischer Default Gruppe 3: Sicherste Kredite; alle an Bank, kein strateg. Default Gruppe 2: Mittleres Risiko an Bank; fixe Verzinsung Mittleres Risiko, signalabhängige Verzinsung R(s) = max(0, Y (s – ε) – 1) p Rückzahlungen Rückzahlung Informationsbedingte Beschränkung Break Even Rückzahlung Insolvente ausgeschlossen Beschränkte Vergabe Rückzahlung und neuerliche Vergabe 130 N o. 1/2022 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | B I G T E CH VS . BANKEN

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