Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

Dann liegen die ESG-Befürworter falsch, die behaupten, Nachhaltigkeit mache ein Unternehmen wertvoller und der Kurs seiner Aktie werde dementsprechend steigen? Aswath Damodaran: Ich weiß, was Sie mei- nen, aber wir reden nicht über den Preis, wir sprechen über den Wert. Und der muss doch irgendwo auftauchen, oder nicht? Er muss sich in der Wachstumsrate oder in den Cashflows, im Reinvestment oder im Risiko niederschlagen. Ich persönlich konnte bis- lang noch keine einzige Studie finden, die belegt, dass ein nachhaltiges Unternehmen schneller wächst. Die Kausalität stimmt ein- fach nicht. Was meinen Sie mit Kausalität? Aswath Damodaran: Lassen Sie mich das an einer Analogie verdeutlichen: Zu behaupten, nachhaltig agierende Unternehmen wachsen schneller, wäre genauso wie zu behaupten, dass Menschen, die in einem Biosupermarkt einkaufen, reicher werden. Das ist absurd. Warum sollte mich der Einkauf in einem Lebensmittelladen reicher machen? Die Kausalität funktioniert doch in genau die andere Richtung: Weil jemand wohlhabend ist, kann er es sich leisten, in einem Bio- supermarkt einzukaufen. Bei Unternehmen müsste die Frage also lauten: Sind sie profitabler, weil sie nachhaltig sind, oder sind sie nachhaltiger, weil sie besonders profitabel sind? Aber sagen Sie damit nicht, dass die Invest- mentbranche geradezu absurd ist, wenn sie behauptet, Investoren und Unternehmen könnten Probleme lösen? Aswath Damodaran: Es geht gar nicht um den Wunsch, die Welt besser zu machen. Den hegen doch eigentlich alle. Daher ist es nicht das Konzept hinter ESG, mit dem ich ein Problem habe. Es geht darum, dass man den Investoren quasi Kuchen verkauft, der angeblich keine Kalorien enthält. Man sagt ihnen, dass sie gut sein und trotzdem höhere Renditen erzielen können. Das ist aber lei- der logisch inkonsistent, denn ein Optimum unter Nebenbedingungen kann dem Opti- mum ohne Nebenbedingungen nun einmal nicht überlegen sein. Und zu allem Über- fluss macht man dann noch jungen Men- schen, die etwas Gutes für die Gesellschaft tun wollen, vor, sie könnten wie ein Invest- mentbanker bezahlt werden, indem sie sich dem Friedenskorps anschließen. Manchmal habe ich den Eindruck dass die ESG-Pro- tagonisten denken, sie hätten die Tugend er- funden. Ich finde das außerordentlich scheinheilig. Aber ist es im Sinne der Bekämpfung des Klimawandels nicht zu begrüßen, wenn selbst ein großer Ölförderer sich bereit erklärt, in erneuerbare Energien statt in fossile Brennstoffe zu investieren? Aswath Damodaran: Vom Prinzip her natürlich schon, aber es wäre naiv zu glauben, man würde damit irgendein Problem lösen. Denn ihr Ölgeschäft verkaufen diese Förderunter- nehmen dann nämlich einfach an Leute, die sich um das Thema Nachhaltigkeit keinen Deut scheren. Damit sind diese Vermö- genswerte des Ölförderers in die denkbar schlechtesten Hände gelangt. Da kann ich nur sagen: Glückwunsch, zwar die Schlacht gewonnen, aber den Krieg verloren. Was schlagen Sie denn vor, um dem Klima- problem wirksam zu begegnen? Aswath Damodaran: Dass jeder bei sich an- fangen sollte. Und den Unternehmen und der Finanzbranche würde ich zurufen: Hört auf, uns etwas vorzugaukeln mit „Wir müssten“-Parolen, und beendet endlich die unsägliche Scheinheiligkeit, die mit dem Thema Nachhaltigkeit bisher verbunden ist. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Beendet endlich die unsägliche Scheinheilig- keit, die mit dem Thema Nachhaltigkeit bisher verbunden ist. « Prof. Aswath Damodaran, Professor an der New York University 62 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ASWATH DAMODARAN | NYU S T ERN FOTO: © AXEL KOESTER

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