Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

An den Rentenmärkten sieht das ganz an- ders aus: Die Zinsen haben sich von den Fundamentaldaten entkoppelt. Sie meinen, weil schon der gesunde Men- schenverstand suggeriert, dass man als Anleihenkäufer eigentlich einen Zinssatz erwartet, der zumindest einen Tick höher liegen sollte als die erwartete Inflation? Aswath Damodaran: Genau! Aber schon der Blick auf die Zinssätze für Staatsanleihen – ob nun in Euro oder US-Dollar – zeigt, dass genau das im Moment keineswegs der Fall ist. Die Zinssätze liegen überall sehr viel niedriger als das, was die Marktteilnehmer in Bezug auf die Inflationsentwicklung er- warten. Und als Erklärung hierfür wird dann in aller Regel die Politik der Zentral- banken bemüht. Ist es denn aus Ihrer Sicht ein Irrglaube anzunehmen, Zentralbanken würden die Zinsen bestimmen? Aswath Damodaran: Die Marktteilnehmer, nicht die Zentralbanken bestimmen letztlich die Kapitalmarktzinsen. Wenn es tatsächlich die Zentralbanken wären, die die Kapital- marktzinsen festlegen, dann hätten wir in den 1970er-Jahren niemals zweistellige Zinssätze gehabt. Die meisten Marktteilneh- mer erwarten heute ein Ansteigen der Infla- tion auf ein Niveau von drei oder sogar fünf Prozent. Niemand geht davon aus, dass die US-Wirtschaft in die Deflation abrutscht. Die Zinssätze scheinen aber ein vollkommen anderes Szenario widerzuspiegeln, eine Deflation oder zumindest eine sehr niedrige Inflation. Dieser Widerspruch muss aufge- löst werden. Und das sagt mir, dass es früher oder später unweigerlich zu einer Korrektur an den Kapitalmärkten kommen muss. Die dann nach Ihrer Erwartung wie konkret aussehen würde? Aswath Damodaran: Ich bin Wissenschaftler, daher sollte ich mich hüten, Marktprogno- sen abzugeben. Aber im Grunde muss es entweder dazu kommen, dass der Aktien- markt zusammenbricht und wir tatsächlich in eine schwere Rezession mit Deflation rutschen, oder die Zinssätze an den Anlei- hemärkten müssen deutlich steigen. Ich denke, der einzige möglicherweise tröstli- che Faktor ist, dass die Zinsen nicht not- wendigerweise über Nacht ansteigen wer- den. Sollten sie allmählich ansteigen, dann haben wir zumindest die Chance auf eine weiche Landung. Wenn sie aber schnell ansteigen, haben wir ein großes Problem. Insofern lassen sich Aktienkurse heute ratio- nal erklären, aber nur wenn man die Situa- tion an den Rentenmärkten ignoriert und diese als gegeben annimmt. Böte eine Korrektur nicht für rationale An- leger die Chance, Preise und fundamental gerechtfertigte Bewertungen wieder näher zusammen zu bringen und davon zu profi- tieren? Aswath Damodaran: Ich glaube, das ist eine Illusion. Denn am Ende werden Kurse im- mer nur von einem bewegt: dem Momen- tum. Die Geschichte zeigt uns doch, dass das Momentum immer stärker war als die Fundamentaldaten. Was für mich übrigens der Grund ist, niemals Short-Positionen in stark momentumgetriebenen Aktien einzu- gehen. Dies ist nämlich fast zwangsläufig das Rezept für eine Katastrophe. Aber sagen Sie damit nicht indirekt, dass der Versuch rationalen Investierens wenig aussichtsreich ist? Aswath Damodaran: Es gibt an Aktienmärk- ten, anders als an Rentenmärkten, eben keine wirkliche Arbitrage. Anleihen haben ein Rückzahlungsdatum, Aktien nicht. Dass der Kurs einer Aktie irgendwann zu den Fundamentaldaten zurückkehrt, ist keines- wegs garantiert. Selbst wenn Ihre Bewer- tung rational ist, können Sie in der Zwi- schenzeit bankrott gehen. Vielleicht kehrt der Aktienkurs auch erst zu einem Zeit- punkt zur tatsächlich gerechtfertigten fun- damentalen Bewertung zurück, wenn Sie schon lang nicht mehr leben. » Am Ende werden Kurse immer nur von einem bewegt: dem Momentum. « Prof. Aswath Damodaran, Professor an der New York University 54 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. ASWATH DAMODARAN | NYU S T ERN FOTO: © AXEL KOESTER

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