Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

rück, um emotional in Erinnerung zu blei- ben, aber auch lang genug, um eine gewisse Relevanz in sich zu tragen. Gemäß Pro- spekt-Theorie erreicht man die stärksten Ef- fekte bei geringen Gewinnen und Verlusten. Ein Beispiel: Verliert man zehn Prozent, ist die Aversion sehr stark. Liegt sie aber bei 75 Prozent, so verstärkt sich die bereits bei zehn Prozent erfolgte Aversion nur noch geringfügig. Umgekehrt gilt dasselbe bei Gewinnen. Baker et al. haben in der Folge errechnet, dass die Verluste und Gewinne, die die Aktionäre am Zielunternehmen im Vergleich zum 52-Wochen-Hoch erleiden, für die Annahme oder Ablehnung eines Übernahmeangebots entscheidend sind. Liegt das Angebot knapp oberhalb dieses Hochs, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Annahme rapide an, liegt es knapp darunter, sinkt die Wahrscheinlichkeit dramatisch. Neues Maß für M&A Die Studie von Lauterbach et al. unter- sucht nun, ob es nicht einen valideren Referenzpreis als das 52-Wochen-Hoch gibt. Dabei gehen sie von der Tatsache aus, dass die verschiedenen Aktionäre ja unter- schiedliche Kaufzeitpunkte haben. Wurde das 52-Wochen-Hoch etwa acht Monate vor der Offerte erzielt, ist der Aktionär aber erst vor zwei Monaten eingestiegen, könnte sich das Bedauern über den Verlust möglicher- weise als geringer herausstellen. Der betref- fende Aktionär wäre also unter Umständen bereit, ein niedrigeres Angebot zu akzeptie- ren. Auf der anderen Seite könnte ein längerfristig engagierter Investor mit dem zurückliegenden 52-Wo- chen-Hoch sein persönliches All- Time High erlebt haben – sein Be- dauern wäre dann unter Umständen stärker ausgeprägt. Um mögliche Effekte, die durch die verschiedenen Einstiegsspunkte entstehen, abzubilden, kreieren die Autoren von 1990 bis 2019 den TAPP (Target Shareholders’ Average Purchasing Price), also den durch- schnittlichen Preis, zu dem die Ak- tionäre in das jeweilige Zielunter- nehmen eingestiegen sind. Das ge- schieht zeitlich gewichtet für den ge- samten US-Aktienmarkt. „Auf diese Weise wird der Einfluss von Kurs- Erlebnissen, die längere Zeit zurück- liegen, weniger stark berücksichtigt als der Einfluss von Kursen, die kürzer zu- rückliegen“, erklärt Co-Autor Yevgeny Mu- german. Aus der entsprechenden Regression ergibt sich nun das Ergebnis (siehe Tabelle „Verhaltensmuster in Übernahmeszena- rien“) , dass die durchschnittliche Prämie einer Übernahmeofferte, bezogen auf den Kurs des Übernahmeziels 21 Handelstage vor Offertlegung, für erfolgreiche Übernah- men bei 31,8 Prozent liegt. Die Autoren zie- hen den Kurs 21 Tage vor dem offiziellen Angebot heran, weil dieser zu diesem frü- hen Zeitpunkt noch nicht durch Gerüchte rund um die Übernahme kontaminiert ist. Ebenfalls interessant ist, dass die Prämie für abgeschmetterte Übernahmeangebote mit 30,2 Prozent nicht einmal zwei Prozent- punkte unter jener der erfolgreichen Ange- bote liegt. Hier bestätigt sich die Prospekt- Theorie, wonach geringe Gewinne/Verluste die höchsten Auswirkungen haben. Im kon- kreten Fall führt ein geringer wahrgenom- mener Verlust des tatsächlichen Angebots zum durchschnittlich erfolgreichen Angebot zu einer Ablehnung des Offerts. Dass TAPP und das 52-Wochen-Hoch sehr ähnlich funktionieren, zeigt sich darin, dass sich die Aktionäre des Zielunternehmens kurz vor Offertlegung im Vergleich zu beiden Maßen in der Verlustzone befinden – TAPP und 52- Wochen-Hoch sind also höher als der Kurs- wert. In weiteren Regressionen weisen die Autoren „eine positive Relation zwischen der Angebotsprämie und TAPP nach. Es zeigt sich also, dass die Kennzahl TAPP die Merger-Prämie signifikant beeinflusst“, wie Co-Autor Shemesh erklärt. Weitere Berech- nungen erhärten außerdem den Verdacht, dass TAPP und das 52-Wochen-Hoch sehr ähnlich funktionieren, also wechselweise zur Abschätzung von Wahrscheinlichkeiten bezüglich Erfolg oder Scheitern eine Über- nahme herangezogen werden können. Folgt man nun den Ergebnissen der Arbeit, kann man bewerten, wie sinnvoll beispielsweise das Scheitern der Übernah- me von Five9 durch Zoom ist. Five9 war einen Monat vor der Offerte 10,5 Milliarden US-Dollar an der Börse wert. Das Angebot belief sich auf knapp 15 Milliarden, womit wir auf eine Prämie von 43 Prozent kämen – also ein Wert, der über den durchschnittlichen M&A-Prämien liegt. Rein pragmatisch gesehen, hät- te der Deal also durchgehen müssen. Abgeblasen wurde die Transaktion ja auch erst, nachdem das US-Justiz- ministerium eine Untersuchung we- gen Zooms China-Connections in den Raum gestellt und der Proxy- Berater ISS substanzielle Risiken bezüglich des China-Exposures ge- äußert hatte. Die freundlichen Worte, mit denen Five9 und Zoom ihre Verhandlungen abgebrochen haben, lassen den Schluss zu, dass beide Seiten von der Sinnhaftigkeit des Angebots überzeugt sind. Mit ande- ren Worten: Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist – wirklich vorbei. HANS WEITMAYR » Es zeigt sich, dass die Kennzahl TAPP, die den durchschnittlichen Kaufpreis der Zielaktionäre ab- bildet, die Merger-Prämie signifikant beeinflusst. « Joshua Shemesh, Monash Business School, Melbourne Auch schon egal … Ab einer gewissen Verlusthöhe steigt die Kompensation kaum noch. Lagen die Kursverluste gegenüber dem durchschnittlichen Kaufpreis (blau) oder dem 52-Wochen-Hoch (rot) bei bis zu zehn Prozent, wurden diese im Kaufangebot relativ stark abgegolten. Im Einklang mit der Prospekt- Theorie nimmt die Verlusttoleranz mit der Höhe des Ausfalls zu und wird relativ gesehen immer schwächer abgegolten. Quelle: Studie 0 % 2 % 4 % 6 % 8 % 10 % 12 % 45 % 40 % 35 % 30 % 25 % 20 % 15 % 10 % 5 % 0 % Prämie 52-Wochen-Hoch Prämie TAPP Anstieg der Übernahmeprämie in Prozent Kursverlusthöhe in Prozent 168 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | M&A

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