Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

liert hat, dass Irreversibilität Unsicherheit maximiert. Das heißt: var (e) >> 0 . Steigt die Unsicherheit und die damit verbundene Varianz bei einem Extinction Event ins Un- endliche, steigt auch die Schwankung des Signals ins Unendliche. „Der Fluss an wert- vollen ökologischen Informationen und Investitionen in ökologische Services könn- te also theoretisch ins Unendliche gehen. Genauso gut könnte er im Rahmen unend- licher Schwankungen aber auch auf null fal- len“, so Chen. „Herkömmliche Erklärmo- delle versagen also in einem Szenario, in dem unendliche Verluste erwartbar sind.“ Case: Subsistenzwirtschaft Wo die Mathematik versagt, muss die Empirie greifen. Und tatsächlich gibt es un- tersuchbares Verhalten von Gesellschaften, die von Totalverlusten bedroht sind. Chen bringt an dieser Stelle das Beispiel von Ge- meinden in Bangladesch, die von Subsis- tenzlandwirtschaft leben. Hier ist der öko- nomische Spielraum so gering, dass eine einzelne Naturkatastrophe – Flut, Trocken- heit etc. – zur Auslöschung dieser Gesell- schaft führt. Diese Gefahr könnte man ver- mindern, indem man auf eine vollkommen risikolose Landwirtschaft umsteigt, die das Überleben in einen derartigen Katastro- phenszenario gewährleisten würde. Stattdes- sen ergänzen die Bauern ihr Produktions- portfolio um „spekulative landwirtschaftli- che Güter“, die in schwierigen, aber nicht katastrophalen Zeiten die Überlebenschan- cen erhöhen, weil sie am Markt höhere Preise erzielen. Chen nennt dieses Portfolio „Bonds and Bullets“. Egal wie hoch das Risiko ist, das Portfolio bleibt mehr oder weniger gleich. „Diese Investitionsstrategie scheint ökonomische und kulturelle Gren- zen zu sprengen. Möglicherweise handelt es sich um universelles Verhalten.“ Diese Hypothese belegt Chen zwar nicht – denkt man aber an die Portfolios institutioneller Investoren, die oft demselben Investitions- prinzip folgen, so ist man geneigt, der These Glauben zu schenken. „Das Festhalten an Bonds and Bullets stellt jedenfalls kein gutes Zeichen für die Bekämpfung des Klimawandels dar“, sub- sumiert Chen. Denn legt man Bond and Bullets auf Indiens Politik um, so wären die „Bullets“, das riskante Investment, das sich in Gestalt von Inaktivität manifestiert. Die riskante Wette geht schlicht dahin, dass der Klimawandel nicht eintritt oder Kosten ver- ursacht, die geringer sind als ein allfälliges Gegenlenken. Chen lässt den Leser mit einem Depressionen auslösenden Schluss- satz zurück, der dem Gedicht „The Hollow Men“ von T. S. Eliot entnommen ist: „This ist the way the world ends“ und fügt selbst hinzu: „Not with a bang but bonds and bullets.“ Alternative Lesart Dem Paper von Chen kann man über weite Strecken folgen, man kann allerdings aus seinen Argumenten auch einen deutlich positiveren Schluss ziehen. Folgt man Chens eigener Logik, so könnte das Bedürf- nis nach „Transzendenz“ in der Bevölke- rung der Industriestaaten dazu führen, dass die von der Bevölkerung gewählten Politi- ker dazu übergehen, die zugesagten Transi- tionsgelder doch zu zahlen. Gemäß der Pro- spekt-Theorie (siehe abermals „Risikobe- wertung gemäß Prospekt-Theorie“) würden sich die Entscheidungsträger der Schwellen- länder dann auf der Kurve von ihrem Refe- renzpunkt nach rechts bewegen – also dort, wo Gewinne ihre größte Wirkung entfalten. Um diese Gewinne in Form weiterer Hilfs- gelder auch in Zukunft realisieren zu kön- nen, müssten sie in die Transition inves- tieren. Nur so wäre ein weiterer Geldfluss gewährleistet. Die Klimakrise könnte also weit weniger apokalyptisch ausfallen, als von Chen befürchtet. Case: Lebensrettung Dass Kapitaltransfers funktionieren, kann man im Gegensatz zu Chens negativem Bangladesch-Beispiel auch positiv belegen, wie ein Beispiel aus der Praxis zeigt. So in- vestiert die britische Fondsboutique Artemis in den US-Konzern Everbridge. „Das Un- ternehmen stellt Massenwarnsysteme bei Naturkatastrophen her und stellt mit 4,9 Prozent derzeit die größte Position in unse- rem Positive Future Fonds dar“, erklärt Ryan Smith, ESG-Fondsmanager bei Arte- Überragender Impact Wie Sturmfrühwarnsysteme Katastrophen großteils entschärfen Die Installation von Sturmfrühwarnsystemen in Bangladesch hat die enormen Opferzahlen, die periodisch auftretende Zyklon-Events nach sich gezogen haben, spektakulär reduziert. Hergestellt werden derartige Systeme von mitunter börsen- notierten Firmen wie der US-amerikanischen Everbridge. Lukrative Investments in solche Unternehmen – im konkreten Fall hat sich der Börsenwert innerhalb von fünf Jahren verzehnfacht – helfen, mit Klimarisiken umzugehen. Eine neue Climate- Change-Exposure-Kennzahl bemisst die verbundenen Opportunitäten. Quelle: Asian Disaster Reduction Centre ADRC, Artemis IM Mai 2009 Zyklon Amphan Mai 2019 Zyklon Fani Mai 2016 Zyklon Roanu Mai 2009 Zyklon Aila April 1991 April Zyklon November 2007 Zyklon Sidr November 1970 Zyklon Bhola 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 3.363 190 27 17 26 Opferzahl 300.000 138.000 » Die Bonds-and-Bullets-Investitionsstrategie scheint ökonomische und kulturelle Grenzen zu sprengen. « James Ming Chen, Michigan State University, College of Law 146 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | ENDE DER WE LT

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=