Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

V ielleicht war es ein Omen, dass der wichtigste Klima- gipfel seit Paris gemeinhin unter dem technokratischen und realitätsfernen Namen COP26 lief. Ziel wäre es ja gewesen, die 2015 beschlossenen Ziele zu evaluieren und voranzutreiben – besonders die Schwellenländer sollten in die Pflicht genommen werden. Bei Redak- tionsschluss hatte sich dann beispiels- weise auch Indien zur Klimaneutralität bekannt – allerdings erst per 2070. Doch selbst dieses Ziel ist alles andere als in Stein gemeißelt, hängt es doch wesentlich davon ab, ob die Industrie- länder ihre Zusagen einhalten und den Schwellenländern die zugesagten 100 Milliarden Dollar für die viel zitierte „Transition“ tatsächlich überweisen. Das bleibt fraglich, ist der Track Record der Geberländer doch zum Ersten nicht unbe- dingt überzeugend, und zum Zweiten wären selbst diese Mittel laut Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan vollkommen unzurei- chend. Sie beziffert den Finanzbedarf der weniger entwickelten Länder auf mehrere Billionen US-Dollar. Wie befürchtet Solcherlei Inaktivität überrascht Beob- achter wie James Ming Chen von der Michigan State University am College of Law eher nicht. Der Forscher mit Faible für Verhaltensökonomie zieht in „This is the Way the World Ends, not with a Bang but Bonds and Bullet“ Parallelen zwischen der modernen von der Verhaltensökonomie be- einflussten Kapitalmarkttheorie und dem aktuellen Umgang der Entscheidungsträger mit der Klimakrise – dem unter Umständen größten jemals aufgetretenen Risiko der Menschheitsgeschichte. Genau aus der Höhe des Risikos leitet Chen das Ausmaß der Inaktivität ab. Denn laut Prospekt- Theorie (siehe Abbildung „Risikobewertung gemäß Prospekt-Theorie“) „evaluiert der Mensch all seine Entscheidungen gemäß einem Referenzpunkt“. Führen diese Ent- scheidungen zu Verlusten, so „ist die Aver- sion zunächst sehr hoch, nimmt dann aber ab“. Ist die Höhe des Verlustes also hoch genug, setzt Apathie ein. Das würde ange- sichts der erwartbaren hohen ökonomischen Verluste, die die Klimaveränderung nach sich zieht, die Tatenlosigkeit der Politik erklären. Dem könnte man nun die Bilder von Glasgow entgegenhalten, die Klimaaktivis- ten zeigen, denen die Höhe der Verlustes – sprich: „Extinction Event“ – alles andere als egal zu sein scheint. Diese Proteste lassen sich mit der persönlichen Bedürfnishierar- chie nach Maslow erklären, wonach je nach persönlicher Entwicklung verschiedene Be- dürfnisse das eigene Agieren vorgeben (sie- he Abbildung „Bedürfnishierarchie nach Maslow“). Demnach steht die „Transzen- denz“, also die höchstmögliche Selbstver- wirklichung, in ökonomisch hoch entwickel- ten Gesellschaften an erster Stelle. Ist je- doch die persönliche Entwicklung aufgrund ökonomischer und gesellschaftlicher Rah- menbedingungen eingeschränkt, so ist Be- friedigung von physischen Bedürfnissen am wichtigsten – also im wesentlichen Nah- Manchmal sind es Posaunen, manchmal Reiter – laut einer aktuellen Studie sind es Bonds und Bullets, die eine Apokalypse auslösen. Demnach würden Prinzipien der Kapitalmarkttheorie darauf hindeuten, dass ein katastrophaler Klimawandel unabwendbar ist. Diese Theorie weist aber Lücken auf. Risikobewertung gemäß Prospekt-Theorie Wie der Homo sapiens die Entwicklung von Gewinn und Verlust wahrnimmt Vom Referenzpunkt ausgehend nimmt der Mensch Risiken und Chancen, Gewinne und Verluste unterschiedlich stark wahr und reagiert in der Folge unterschiedlich stark. Sind die Verluste enorm – oder gar unendlich wie etwa bei einem „Extinction Event“ –, wäre vollkommene Apathie gemäß der Prospekt-Theorie die logische Folge. Quelle: Studie Ertragskurve Abnehmende Sensibilität Abnehmende Risikoaffinität Hohe Risikoaversion Hohe Risikoaffinität Referenzpunkt Ausmaß Ausmaß Gewinn Verlust » Herkömmliche Erklärmodelle versagen in einem Szenario, in dem unendliche Verluste erwartbar sind. « James Ming Chen, Michigan State University, College of Law Bullets, Bonds und Apokalypsen 144 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | ENDE DER WE LT FOTO: © MICHIGAN STATE UNIVERSITY, RUSKPP | STOCK.ADOBE.COM

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