Institutional Money, Ausgabe 4 | 2021

bewerten, die von diesen Modellen nicht erfasst werden. Die Kontroversitäts-Ratings haben es den ESG-Ratingagenturen ermög- licht, Warnungen auszusprechen und damit den Investoren dabei zu helfen, Unterneh- men mit größeren ESG-Risiken zu bewer- ten oder sogar zu meiden. Zum Beispiel argumentiert MSCI damit, dass man bei Volkswagen in den zwei Jahren vor dem Abgasskandal wegen Kontroversen im Zusammenhang mit Produkt- und Service- qualität, Bestechung und Betrug sowie Tarifverhandlungen die rote Flagge gehisst habe. Stranded Assets In der Umfrage von Philipp Krüger, Za- charias Sautner und Laura T. Starks wurden die teilnehmenden Großanleger auch ge- fragt, wie sie die Gefahr beurteilen, dass einige Vermögenswerte zu Stranded Assets werden – also ihre Investitionskosten nicht mehr decken können, was für Investoren Wertverluste bewirken würde. In dieser Fra- ge wurden die Investoren aufgefordert, ihre Einschätzung für die Bereiche Kohleprodu- zenten, unkonventionelle Ölproduktion (z. B. Teersande, Fracking), konventionelle Ölpro- duzenten, Erdgasproduzenten, Eisen- und Stahlproduzenten sowie konventionelle Stromproduzenten getrennt zu treffen (siehe Tabelle „Risiken von Stranded Assets“). Es mag zwar überraschen, dass nur ein Viertel der Investoren das Risiko von Stranded Assets in der Kohleindustrie für hoch hält. Dabei ist zu beachten, dass die durchschnitt- liche Antwort auf diese Frage bei 2,78 (Höchstwert: 4) liegt. Diese Größenordnung deutet eher darauf hin, dass für die Investo- ren das Risiko gestrandeter Vermögenswer- te im Kohlesektor hoch ausfällt. Es gab auch signifikante Zusammenhänge hinsicht- lich der Gruppen von Investoren, die glau- ben, dass die Risiken für verlorene Vermö- genswerte in diesen Sektoren hoch sind. Zum Beispiel sind die Investoren, die sich mehr Sorgen über die finanziellen Auswir- kungen von Klimarisiken machen, auch die- jenigen, die glauben, dass die Risiken für gestrandete Vermögenswerte bei den Erdöl- und Erdgasproduzenten höher sind. Darüber hinaus sind die Investoren, die ihre Port- foliounternehmen stärker auf Klimarisiko- themen im Zuge von Engagement-Schritten ansprechen, jene mit einem höheren Anteil an ESG-Investments und passiven Invest- ments. Sie schätzen auch die Risiken für gestrandete Vermögenswerte höher ein. Eigenes Engagement wirkt Für Investoren bieten Unternehmen mit höheren ESG-Scores Schutz vor Abwärts- risiken. Empirische Belege zeigen, dass die Messgrößen für das Tail-Risiko eng mit dem ESG-Risiko verbunden sind, da Unter- nehmen mit einer besseren ESG-Perfor- mance weniger anfällig für firmenspezifi- sche negative Ereignisse sind, wie der Genfer Wirtschaftswissenschaftler Philipp Krüger schon 2015 im Journal of Financial Economics in „Climate Change and Firm Valuation: Evidence from a Quasi-Natural Experiment“ feststellte. Wie sieht es aber aus, wenn man sich nicht nur auf solche Ratings verlässt, sondern als – ausreichend bedeutender – Großinvestor selbst an der Risikosenkung des Aktienportfolios mit- wirkt, indem man direkt auf die Unterneh- men einwirkt? Um zu verstehen, ob und wie ein solches Engagement Abwärtsrisiken verringern kann, verwenden der Dubliner Forscher Andreas Höpner und seine Co- Autoren Ioannis Oikonomou, Zacharias Sautner, Laura Starks und Xiaoyan Zhou in der 2020 publizierten Arbeit „ESG Share- holder Engagement and Downside Risk“ eigene Daten über die Aktivitäten eines gro- ßen Investors, der sich auf Engagement in Bezug auf ESG-Themen bei Firmen spe- zialisiert hat. Anhand einer Analyse von 1.712 Engagements bei 573 Zielunterneh- men aus aller Welt im Zeitraum von 2005 bis 2018 stellen die Autoren fest, dass ein erfolgreiches Engagement in der Regel etwa drei Jahre in Anspruch nimmt. Die Autoren verwendeten zwei Messgrößen, um zu un- tersuchen, ob ein Engagement der Aktionä- re das Abwärtsrisiko der Zielunternehmen zu beeinflussen scheint. Das erste Maß ist LPM (Lower Partial Moments zählen zu den Downside-Risikomaßen) – es betrachtet ausschließlich den Verlustbereich der Ren- diteverteilung. Das zweite Maß ist der Value at Risk (VaR) der Investition. Unter Ver- wendung dieser Maße in zwei verschiede- nen empirischen Ansätzen (Differenz-von- Differenzen- und Faktormodell) weisen die Autoren nach, dass ein erfolgreiches ESG- Engagement des Investors zu einer Verrin- gerung des Abwärtsrisikos der Zielunter- nehmen führt. Sie stellen außerdem fest, dass ein Engagement in Umweltthemen (Environment) den größten Nutzen in Bezug auf die Verringerung des Abwärts- risikos bringt und bei Umwelt-Engagements in erster Linie das Thema Klimawandel an- gesprochen wird. Die Ergebnisse von Höpner legen nahe, dass solche Engagements das Potenzial be- sitzen, Investoren erhebliche Vorteile zu bringen. Unter Verwendung des Faktormo- dellansatzes konnten Höpner und Kollegen zeigen, dass der mit einem Unternehmen assoziierte Downside-Risikofaktor tenden- ziell abnimmt, wenn das Engagement zu- mindest teilweise erfolgreich war. Diese Forschungsergebnisse bestätigen ältere Untersuchungen, die ebenfalls zeigen, dass institutionelle Anleger in der Lage sind, die ESG-Profile von Unternehmen zu verbes- sern. DR. KURT BECKER Risiken von Stranded Assets Welche Industriesektoren laut Umfrage auf einer Skala von 0 (nicht) bis 4 (sehr hoch) besonders betroffen sind Prozentsatz mit Prozentsatz mit Anzahl Hypothese: „sehr hoch“ Durchschnitts- „Weiß ich der Durchschnitts- – Score 4 Score nicht“ Antworten Score = 1 Risiko von Stranded Assets (1) (2) (3) (4) (5) (1) Kohleproduzenten 25,1 2,78 3 371 *** (2) Unkonventionelle Ölproduzenten 21,3 2,69 3 371 *** (3) Konventionelle Ölproduzenten 16,7 2,64 4 371 *** (4) Erdgasproduzenten 11,9 2,46 3 370 *** (5) Eisen- und Stahlproduzenten 11,7 2,40 5 369 *** (6) Konventionelle Stromproduzenten 10,5 2,42 4 371 *** Der größte Prozentsatz der Befragten schätzt die Risiken als sehr hoch ein für Kohleproduzenten (25,1 % der Befragten) und unkonventionelle Ölproduzenten (21,1 %). 16,7 Prozent der Investoren meinen, dass konventionelle Ölproduzenten ein sehr hohes Risiko von Stranded Assets aufweisen. Andere Arten von Produzenten stehen weniger im Fokus, die Ergebnisse waren aber alle hochsignifikant (***) mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit < 1 %. Quelle: Studie 108 N o. 4/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | E SG- DOWNS I DE - R I S I KO 

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