Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

die in der zweiten Hälfte des Untersu- chungszeitraums deutlich anzogen. Die Grafik „Nettoflüsse in nachhaltige US- Fonds“ illustriert diesen Aspekt. Um die einzelnen Quartale in solche mit hoher res- pektive niedriger Aufmerksamkeit einzutei- len, wird als Cut-off der Medianwert der Fondsflüsse herangezogen. Die Ergebnisse der Analyse legen den Schluss nahe, dass hohe Aufmerksamkeit zu inflationierter Performance führt. So haben beispielsweise einige ESG-Strategien signi- fikante CAPM-Alphas in Zuständen hoher Aufmerksamkeit, aber deren Outperfor- mance verschwindet in Zuständen niedriger Aufmerksamkeit. Ein kluger Investor wird es vorziehen, sich die Zustände mit niedri- ger Aufmerksamkeit anzusehen, um seine Renditeerwartungen zu formulieren. Keine der ESG-Strategien hat ein signifikantes Alpha oder signifikante Renditen in Zustän- den niedriger Aufmerksamkeit, selbst wenn man beim CAPM bleibt und keine Adjus- tierung in Bezug auf das Exposure zu Ak- tienstilfaktoren nach dem Sieben-Faktor- Modell vornimmt. Die Doppelgrafik „Schrumpfende ESG- Alphas bei Anpassung an die Aufmerksam- keit“ fasst die Ergebnisse zusammen: Die Outperformance in Perioden mit hoher Auf- merksamkeit fällt spektakulär aus, wenn man im CAPM nur eine Anpassung an das Markt-Exposure durchführt. Die US-Strate- gien auf Basis der aggregierten ESG-Ra- tings oder jener auf Basis einer der drei ein- zelnen ESG-Faktoren zeigen durchgängig eine substanziell positive Performance von oftmals mehr als vier Prozent pro Jahr. Jedoch schrumpft diese Outperformance beziehungsweise wird sogar negativ, wenn man die Perioden niedriger Aufmerksam- keit betrachtet. Führt man zusätzliche Fak- toren aus dem Sieben-Faktor-Modell ein, so fällt die Outperformance weiter zurück. Zieht man noch die Parameterunsicherheit in Betracht, gibt es kein einzelnes positives Ergebnis für irgendeine ESG-Strategie. Zusammenfassend gilt: Wenn die Auf- merksamkeit, die Investoren dem ESG- Thema bei der Anlage widmen, nicht stiege, wäre die ESG-Performance sogar schwä- cher als während der gesamten Unter- suchungsperiode. Investoren können leicht die langfristigen Renditen für ESG-Anlagen überschätzen, wenn sie kurzfristige Perio- den mit erhöhter Aufmerksamkeit für ESG heranziehen. Schlussbetrachtung Die Ergebnisse dieser Arbeit von Scien- tific Beta stehen imWiderspruch zu dem oft gehörten Mantra der Asset-Management-In- dustrie, dass ESG eine Alpha-Quelle dar- stellt. Scientific Beta ist aber insofern un- verdächtig, mit einem negativen Bias an die Sache heranzugehen, da das Haus selbst ESG-Indizes anbietet und auslizenziert und der wissenschaftlichen Ergebnisneutralität verpflichtet ist. Dr. Noël Amenc, CEO von Scientific Beta, sagte anlässlich der Präsen- tation der Studie: „Behauptungen in popu- lären Branchenpublikationen, ESG-Anlagen produzierten positives Alpha, sind nicht valide, denn die zugrunde liegenden Analy- sen sind fehlerhaft. Nötige Risikoanpassun- gen nicht vorzunehmen und sich einen Zeit- abschnitt mit erhöhter Aufmerksamkeit für das Thema herauszusuchen, der angeblich die Outperformance belegt, ist unseriös. Stattdessen sollten sich Investoren fragen, wie ihnen ESG-Strategien helfen könnten, andere Ziele als Alpha zu erreichen – etwa indem sie ihre Investments mit ihrem Wer- tekanon und ihren Normen in Einklang bringen. Das kann durch positiven sozialen Impact geschehen oder durch die Verrin- gerung von Umwelt- und Prozessrisiken. Unsere Resultate stellen aber auch infrage, wie ESG-Anbieter und die Investment- industrie im Allgemeinen mit der ESG- Agenda verfahren sollen. Indem man sich auf unausgewogene und verzerrte Research- Ergebnisse stützt, die wertlos sind, gehen die Förderer von Alpha beim ESG-Inves- ting das Risiko späterer Enttäuschungen auf Investorenseite ein, wenn die vermutete Outperformance schließlich nicht eintrifft. Zudem besteht das Risiko, dass Investoren dadurch von einem Thema weggeführt wer- den, das für eine nachhaltige Wirtschafts- entwicklung wichtig ist.“ Die durch die Bank für ESG-Jünger enttäuschenden Resultate bedeuten also keineswegs, dass ESG-Strategien nicht doch von substanziellem Wert für die Inves- torenschaft sein können. Allerdings schauen Investoren auf die falsche Seite, wenn sie wertsteigernde Effekte in Form von Out- performance suchen. Vielmehr sei die Zeit gekommen, so die Autoren, ESG-Strategien für das zu schätzen, was sie auch leisten können, nämlich Klima- oder Prozessrisi- ken abzusichern sowie Investments mit be- stimmten Normen in Einklang zu bringen und eine positive Wirkung für die Gesell- schaft zu entfalten. Gleichwohl meint Scientific Beta, dass auf diesem Gebiet noch viel Research geleistet werden muss, bis man zu einem endgültigen Urteil gelan- gen kann. Der Renditeturbo fällt aber aus. Und wer sich die Tortur bezüglich der je nach ESG-Ratingagentur höchst unter- schiedlichen Einschätzungen zu ein und demselben Unternehmen und die damit ver- bundenen Kosten nicht antun will und die anlagetechnische Freiheit besitzt, keinem ESG-Reglement folgen zu müssen, ist mit einem Quality-Ansatz, der zu ähnlichen Er- gebnissen führt, gut bedient. Wer mit nur wenigen Freiheitsgraden aus- gestattet ist – und das sind nun einmal die meisten großen Kapitalsammelbecken –, dem bleibt wohl nichts anderes übrig, als dem Zeitgeist widerspruchslos zu folgen. DR. KURT BECKER Gewichtige Unterstützung EDHEC / Scientific Beta steht mit seiner Ansicht nicht allein und erhält Unterstützung von Smart-Beta-Pionier. Vitali Kalesnik, Director of Research beim Smart-Beta Pionier Research Affiliates in Europa, sagte in einem Inter- view mit der „Financial Times“, die Schlussfolgerungen von Scientific Beta stünden im Einklang mit vielem, was man selbst verfasst habe. Die Überschneidung zwischen ESG und hier im Speziellen beim Governance-Fak- tor mit dem Faktor Quality sei ziemlich groß. Im gleichen Artikel wird auch Sony Kapoor, Geschäftsführer des Think-Tanks Nordic Institute for Finance, Technology and Sustainability, zitiert. Kapoor meinte, nun habe man schwarz auf weiß, was man sich in den Gängen der Finanzin- dustrie schon seit Längerem zuraune: ESG-Investing sei ein Kniff, um die Repu- tation aufzupolieren, maximiere Gebüh- ren und lindere Schuld. Es gebe unzäh- lige Wege, den ESG-Score zu messen und zu gewichten sowie ESG zu integrieren. Zudem würde die Realität viel mehr sektorale Tilts und Qualitätsfaktoren als Umwelt, soziale und Governance-Treiber widerspiegeln. Das ganze Feld des ESG-Investierens stehe auf wackeligen Fundamenten, die bei näherer Analyse zerbröselten. Davon ist man bei Research Affiliates überzeugt. Vitali Kalesnik, Director of Research bei Research Affiliates in Europa 102 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | E SG – K E I N A L PHA FOTO: © RESEARCH AFFILIATES

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