Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

Unserem Verständnis vom wirklichen Sinn des Investierens entsprach das einfach nicht. Worin sehen Sie den Sinn des Investierens? Stuart Dunbar: Der grundsätzliche Zweck von Investieren ist, Kapital in Aktivitäten zu lenken, die neue Dienstleistungen oder bes- sere Geschäftsmodelle schaffen, die Wohl- stand schaffen, die den Lebensstandard in der Gesellschaft vorantreiben oder die gro- ßen Probleme der Welt lösen. Das mag sehr philosophisch klingen, trifft aber in meinen Augen genau das, was Investieren eigent- lich sein sollte. Daran wollen wir mit dem Begriff „tatsächliches Investieren“ eigent- lich nur erinnern. Ein anderes Verständnis als viele Ihrer Mit- bewerber pflegen Sie offenbar auch beim derzeit allgegenwärtigen Thema ESG. Wie funktioniert denn „tatsächliche Nachhaltig- keit“ aus Sicht von Baillie Gifford? Stuart Dunbar: Grundsätzlich ist es aus unse- rer Sicht zu begrüßen, dass inzwischen im Prinzip die gesamte Investmentindustrie dazu übergegangen ist, entsprechende ESG- Kriterien auf die eine oder andere Art in ihren Anlageprozessen zu berücksichtigen. Wir müssen nur aufpassen, dass wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen. So sinnvoll einzelne ESG-Faktoren für sich betrachtet auch sein mögen, dürfen wir nicht verkennen, dass auch unter dem Nachhaltigkeitsanspruch bestimmte Wider- sprüche noch nicht ohne Weiteres aufzu- lösen sein werden. Wie zum Beispiel? Stuart Dunbar: Der Abbau von Kobalt wird weithin als sozial und ökologisch zerstö- rerisch geächtet. Ohne Kobalt aber würden eine andererseits durchaus gewollte Revo- lution durch Elektroautos und die Weiter- entwicklung der Batterietechnologie, die den Übergang zu erneuerbaren Energien entscheidend erleichtert, ins Stocken gera- ten. Auch der simple Ausschluss von Unter- nehmen hilft nicht weiter. Wenn ein großer Ölkonzern seine Ölfelder an einen Kon- kurrenten verkauft, um mit dem Erlös bestehende Anlagen für erneuerbare Ener- gien zu kaufen, wird sich zwar seine eigene CO 2 -Bilanz verbessern. Aber es ändert sich dadurch nichts, denn der Käufer der Ölfel- der hat dies sicher nicht getan, um sie still- zulegen. Nur wenn der neue Betreiber die durch die Produktion verursachten Umwelt- schäden verringern kann, ergibt sich ein Nettogewinn für die Umwelt. Beim ESG- Thema benötigen wir deshalb einen sehr viel stärker holistischen, aber sehr spezifi- schen Ansatz, bei dem wir uns individuell mit den Unternehmen auseinandersetzen. Nicht nur um herauszufinden, wie sie sich in der realen Welt anpassen, sondern auch um sie dazu zu ermutigen, dies zu tun. Aber selbst eine Organisation wie die Insti- tutional Investors Group on Climate Change geht doch davon aus, dass es unrealistisch ist, von Investoren zu erwar- ten, dass sie sich individuell mit allen Unternehmen in ihrem Portfolio auseinan- dersetzen? Stuart Dunbar: Das halten wir für falsch. Das mag auf passiv agierende Index- oder ETF- Anbieter zutreffen, weil sie sich im Rahmen ihrer extrem kostengünstigen Geschäfts- modelle einem mechanischen, regelbasier- ten Ansatz zuwenden müssen, um Unter- nehmen nach ihren ESG-Vorzügen zu beur- teilen. Für uns als aktiver Manager ist Engagement schon immer ein Kernbestand- teil dessen, was wir unter „tatsächlichem“ Investieren verstehen. Auch wenn es natür- lich eine ressourcen- und kostenintensive Aufgabe ist: Aus unserer Sicht ist es der richtige Weg, um das Ziel einer nachhaltiger agierenden Gesellschaft zu erreichen. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Der überwiegende Teil der Aktienmarktrenditen stammt von einer nur winzigen Zahl von Unternehmen. « Stuart Dunbar, Baillie Gifford 68 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | S TUAR T DUNBAR | BA I L L I E G I F FORD FOTO: © MIKE WILKINSON

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