Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

dungen das System zwei zum Einsatz, weil erst dieses bewusste und rationale Ent- scheidungen auf der Basis komplexer Daten ermögliche. Eine Erkenntnis, die im Prinzip ja auch Einzug gehalten hat in vielen finanzmathe- matischen Modellen, die auf entsprechend komplexe Parameter und die Schätzung von Kovarianzen setzen. Gerd Gigerenzer: Wobei die Frage ist, ob das wirklich so sinnvoll ist. Denn auch wenn Kahneman im Grunde natürlich dafür plä- diert, ökonomische Entscheidungen mithilfe von System zwei zu treffen und so das erste System zu überstimmen, ist das ja nicht automatisch richtig. Denn zum einen ist Intuition durchaus ein guter Ratgeber. Und Heuristiken münden nicht immer in eine unbewusst getroffene Entscheidung, son- dern können durchaus auch zu einer be- wussten Entscheidung führen. Unter den Gesichtspunkten von Logik und komplexen Wahrscheinlichkeitsannahmen getroffene Entscheidungen sind keineswegs immer besser als eine unter heuristischen Annah- men gefällte Entscheidung. Hier verkennt Kahneman, dass ein Unterschied zwischen Risiko und Ungewissheit besteht. Inwiefern? Gerd Gigerenzer: Für ihn führen immer nur Logik und Wahrscheinlichkeit zur richtigen Antwort, Intuition und Heuristik sind immer nur zweitklassig. Er verkennt, dass es zwar sinnvoll sein mag, Entscheidungen mithilfe komplexer Annahmen zu treffen, aber eben nur dann, wenn es sich um Entscheidungen unter bekannten Risiken handelt. In der rea- len Welt aber treffen die Menschen sehr viel häufiger Entscheidungen unter Ungewiss- heit. Das ist durch die Arbeiten von John Maynard Keynes oder auch Frank Knight eigentlich längst auch in der Ökonomie be- kannt. Kahneman vernachlässigt das jedoch. Aber es gibt ja durchaus eine Lösung für dieses Problem. Die wie genau aussieht? Gerd Gigerenzer: Ich plädiere schon seit Lan- gem dafür, Entscheidungen möglichst ein- fach zu halten und lieber mit einer einfa- chen Formel wie „1/n“ zu arbeiten, um mit nur geringem Aufwand und wenigen Infor- mationen zu einem besseren Ergebnis zu gelangen. Auch wenn ich damit einer in der Ökonomik immer noch weit verbreiteten Ansicht widerspreche, die in ihren gängigen » In der realen Welt treffen die Menschen sehr viel häufiger Entscheidungen unter Ungewissheit. « Gerd Gigerenzer, Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz Verfechter der Einfachheit Gerd Gigerenzer ist ein weltweit renommierter Psychologe und Risikoforscher. Als dessen Direktor leitet er das Harding-Zentrum für Risikokompetenz an der Universität Potsdam. Er ist zudem Direktor emeritus der Abteilung „Adaptives Verhalten und Kognition“ am Max-Planck-Institut für Bildungs- forschung. Gigerenzer hat eine Vielzahl internationaler Auszeich- nungen erhalten, darunter den AAAS-Preis, den Communicator- Preis und den Deutschen Psychologie-Preis. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat ihn als einen der 100 einfluss- reichsten Denker der Welt bezeichnet. Seine populär- wissenschaftlichen Bücher „Das Einmaleins der Skepsis“ (2002) und „Bauchentscheidungen“ (2007, ausgezeichnet als „Wissenschaftsbuch des Jahres“ und „Wirtschaftsbuch des Jahres“) sowie „Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft“ (2013) fanden große Beachtung und sind zu internationalen Bestsel- lern geworden. Sein gerade erst erschienenes jüngstes Werk trägt den Titel „Klick. Wie wir in einer digitalen Welt die Kon- trolle behalten und die richti- gen Entscheidungen treffen“. Darin widmet er sich der Frage, wie wir in einer zuneh- mend digitaler werdenden Welt die Kontrolle behalten. 58 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. GE RD G I GE R ENZ E R | HARD I NG - Z ENT RUM FÜR R I S I KOKOMP E T ENZ FOTO: © TIM FLAVOR

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