Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

H ans Melchiors kann auf ein 40-jähriges Berufs- leben in der betrieb- lichen Altersvorsorge (bAV) zurückblicken, zuletzt als Vor- stand Mitglieder und Finanzen beim Pensions-Sicherungs-Verein (PSV). Das ist die Selbsthilfeeinrichtung der deutschen Wirtschaft zum Schutz der bAV im Fall einer Insolvenz des Arbeitgebers. Seine Vorstandsmit- gliedschaft beim PSV hat Melchiors mit Mai 2021 niedergelegt, aber das Thema bAV lässt ihn nicht los. So ist er weiterhin im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba) aktiv, und aktuell baut er ein neues Institut auf, das sich mit den Themen Demografie und Altersvorsorge beschäftigt. „Nun kann ich auch einmal kritische, brisantere Punkte an- sprechen – das konnte ich früher aus Rück- sicht auf meine jeweilige Aufgabe teilweise nicht“, meint Melchiors. „Mit unserer neuen Gesellschaft Wirtschaft & Gesellschaft wol- len wir unsere akkumulierte Erfahrung und die neu gewonnene Freiheit nutzen und kri- tisch reflektieren. Dort betreiben wir For- schung rund um das Thema Altersvorsorge.“ Mindestlohn gehört angepasst Melchiors erklärt, warum er für das The- ma bAV brennt: „Die Altersvorsorge ist eines der großen gesellschaftlichen Themen und staatlichen Aufgaben. Der Bundeshaus- halt der Bundesrepublik Deutschland be- trägt 2021 547,7 Milliarden Euro. Davon sind 284,6 Milliarden für soziale Sicherung, Familie und Jugend sowie die Arbeitsmarkt- politik – und allein davon über 100 Milliar- den für die Altersvorsorge: Zuschüsse zur Rentenversicherung, Grundsicherung und Erwerbsminderung. Und die Tendenz ist hier steigend!“ Das zeige den Handlungs- bedarf, um ein effizientes, aber auch von der breiten Mehrheit als gerecht empfunde- nes Alterssicherungssystem zu erhalten. Den Blick fürs Machbare bestätigt ihm auch sein Wegbegleiter Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung Bun- desvereinigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände (BDA): „Herr Melchiors ist in der bAV-Szene exzellent vernetzt, denkt sehr politisch und kann daher auch immer gut einschätzen, was realistisch umsetzbar ist und wo vielleicht Hürden bestehen.“ Spricht man mit Melchiors, wirkt er gesetzt und diszipliniert. Dass er aber auch kämpferisch ist, merkt man an seinen teil- weise deutlichen Aussagen. Er hält das Altersvorsorgesystem in Deutschland für in die Jahre gekommen und tritt dafür ein, es zu modernisieren. „Die Altersversorgung für die Niedriglohnbezieher und die sozial Schwachen funktioniert hierzu- lande nicht gut. Aber gerade deren Altersvorsorge liegt im gesellschaftli- chen Interesse. Wirtschaftspolitisch muss die bAV mit den Gehältern ver- zahnt werden. Wenn Beschäftigte zu niedrige Löhne beziehen, kommen sie mit der Altersvorsorge nicht weiter“, meint Melchiors. Seiner Meinung nach sollte jeder von seiner Rente leben können, der 45 Jahre lang gearbeitet hat, auch wenn es im Mindest- beziehungs- weise Niedriglohnbereich war. „Viele Men- schen, die eine normale Erwerbsbiografie haben, schaffen es nicht, sich aus der Grundsicherung zu befreien. Daher gehören der Mindestlohn oder die Altersversorgung angepasst“, wird er politisch. Altersarmut treffe heute verstärkt Frauen. „Jede Epoche hat ihre Fragestellung. Im 19. Jahrhundert war es die frühkapitalistische Ausbeutung; heute sind es Altersarmut und Generationengerechtigkeit. Frauen sind zwar in der Arbeitswelt emanzipierter, aber wenn sie Kinder bekommen, steigen sie immer noch häufig aus dem Beruf aus und erst Jah- re später wieder ein. Das wirft sie in Sachen Alterssicherung zurück, aber die Gesell- Wir sprechen mit Hans Melchiors über die Altersvorsorge. Der ehemalige PSV-Chef baut gerade ein neues Institut auf, das sich mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen beschäftigt. Wir brauchen kollektive Systeme » Jeder, der 45 Jahre lang gearbeitet hat, sollte von seiner Rente leben können. « Hans Melchiors, Mitgründer von „Wirtschaft & Gesellschaft GmbH & Co. KG – Institut für angewandte Forschung Hans Melchiors frei assoziierend zu … … Gesundes Altern: „Lange körperliche und geistige Fitness, aktiv bleiben und der Gesellschaft was zurückgeben.“ … Familie: „Sehr wichtig fürs eigene Gleichgewicht.“ … Nachhaltigkeit in der Kapitalanlage: „Sehr wich- tig, aber bitte keine konkreten staatlichen Vorgaben! Institutionen sollten eine Selbstverpflichtung und stabile langfristige Rahmenbedingungen bekommen.“ … Europäische Konvergenz: „Nur da, wo es sinnvoll ist. Wir sind weit davon entfernt, da auch die Lebensumstände sehr unterschiedlich sind.“ … Gleiche Regularien für Versicherungen und Pensionskassen: „Das Gegenteil sollte angestrebt werden: Für die bAV sollte das Arbeits- und Versiche- rungsrecht angepasst werden.“ … Alte Besitzstände in der bAV: „Veränderte Rahmenbedingungen sollten zügig zu gesetzlichen Anpassungen führen, sonst haben wir wie aktuell einen Rückstau, der kaum zu bewältigen ist.“ … Portabilität von bAV-Verträgen: „Wichtig! Eigentlich ist das vielfach schon vorhanden, aber sicher noch ausbaufähig.“ 264 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com P O R T R Ä T | HANS ME L CH I OR S | P S V FOTO: © RENÉ LAHN

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