Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

ten der Welt deutlich weniger: In Europa etwa ist die Anzahl der Börsengänge von 457 im Jahr 2011 auf nur noch 106 im Jahr 2019 geschrumpft. Doch während hier die Möglichkeiten abnehmen, nehmen die Chancen auf den privaten Märkten expo- nentiell zu. Hier finden langfristige Anleger wie wir spannende Unternehmen der Zu- kunft, können dauerhafte Beziehungen zu ihnen aufbauen und an ihrem Wachstum teilhaben, noch bevor sie ein IPO machen. Doch um diese Chancen zu nutzen, müssen Investoren geduldig und unterstützend sein.“ Früher begann der Lebenszyklus eines Unternehmens typi- scherweise damit, dass ein Unternehmer Kapital von Family and Friends ein- sammelte, möglicherweise einen sach- kundigen Business Angel als Investor gewann oder vielleicht einen Bank- kredit aufnahm. Wenn das Unterneh- men dann gewachsen war, konnte es sich an Venture-Capital-Geber wenden, die größere Summen an Kapital locker machten, aber auch Fachwissen in den Bereichen Marke- ting, Personalsuche, Buchhaltung oder Rechtsberatung beisteuerten. Doch das ist das Konzept von gestern. Heute ist alles anders In letzter Zeit hat es hier deutliche Ver- änderungen gegeben: Viele Privatunterneh- men sind erheblich größer als ihre Vorgän- ger in früheren Jahren, ehe sie über ein Listing ernsthaft nachdenken. Ein Großteil des Unternehmenswachstums hat heute zum Zeitpunkt der Aufnahme der Börsen- notiz bereits stattgefunden. Viele Firmen entscheiden sich heute für den Börsengang, um Investoren und Mitarbeiter der Frühpha- se am Unternehmenswert partizipieren zu lassen. Der traditionelle Grund, Kapital für die wirtschaftliche Expansion zu beschaf- fen, zählt nicht mehr. Drei wichtige Faktoren Robert Natzlers Meinung zufolge haben sich drei wichtige Dinge verändert: die grundlegenden wirtschaftlichen Bedingun- gen für Unternehmensgründungen, die staatlichen Vorschriften und – last but not least – die kulturellen Normen der Gründer. Was die wirtschaftlichen Aspekte angeht, so hat sich die Höhe der Kapitalinvestitionen, die die meisten Unternehmen benötigen, bevor sie auf den von ihnen gewählten Märkten Fuß fassen können, stark verän- dert. Die Kapitalintensivität hat eindeutig abgenommen. Große Investitionen in Fabri- kation, Filialen und IT sind heute vielfach unnötig. So kann man chinesische Produk- tionskapazitäten über Alibaba anmieten, gezielte digitale Werbung via Facebook und Alphabet in Auftrag geben und die Menge an benötigter Rechnerkapazität über die Cloud-Dienste von Giganten wie Amazon Web Services (AWS) abrufen. Im Ergebnis können viele Unternehmen viel länger ihr Geschäftsmodell skalieren, bevor die Eigen- tumsanteile der Gründer durch externe Kapitalgeber verwässert werden. Und das waren in der Vergangenheit eben meist jene Kapitalgeber, die wegen der begrenzten Laufzeit ihrer Investmentvehikel ungedul- dig auf einen IPO-Ausstieg warteten. Faktor Arbeit Darüber hinaus gab es eine Revolution bei der Zahl der Mitarbeiter. Die größten Arbeitgeber haben heute weit weniger Be- schäftigte als die Moloche von früher wie General Electric oder Ford. In den 1930er- Jahren beschäftigte Fords River-Rouge- Komplex in Michigan mehr als 100.000 Arbeiter an nur einem einzigen Standort. Heute erzeugen Technologieunternehmen wie Wise (früher: TransferWise) hunderte Millionen an Umsatz mit kaum 2.000 Mit- arbeitern. Die Grafik „Gestern und heute“ visualisiert, dass es von der Gründung bis zum IPO heute immer länger dauert und die Marktkapitalisierung der relativ selten ge- wordenen IPOs zu Börsenstart im Vergleich zu den 90ern riesig geworden ist. Entsprechende Software erleichtert das Führen in flachen Hierarchien. Effiziente Geschäftssysteme sind einfacher, billiger und weniger abhängig vom Fachwissen von leitenden Angestellten in Hierarchieebenen, wie man es von großen Organisationen her kennt. Das Ergebnis ist, dass beispielsweise Gründungsteams aus talentierten Ingenieu- ren ihre Organisationen viel länger selbst führen können, bevor sie Chefs von Groß- unternehmen mit Zusagen von hohen Boni- fikationen und Aktienoptionen bei einem Börsengang anlocken müssen. Diese grund- legenden Veränderungen in der Wirtschaft Börsengänge (IPOs) in Europa in den Jahren 2009 bis 2019 Erkaltendes Interesse beim Going Public seit dem Hoch 2011 Wie zu erkennen ist, hat das Interesse der Firmenchefs an Börsengängen nachgelassen. Das liegt am besseren Kapitalzugang vor dem IPO und daran, dass Firmen heute deutlich reifer sind, bevor sie diesen Schritt setzen. Quelle: Statista 0 100 200 300 400 500 2019 2018 2017 2016 2015 2014 2013 2012 2011 2010 2009 Anzahl der jährlichen IPOs Anzahl » Es ist zum Trend geworden, dass viele Firmen sich heute länger Zeit nehmen, bis sie an die Börse gehen. « Stephen Paice, Head of European Equity Team bei Baillie Gifford in London 242 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N | PR E - I PO - I NVE S TMENT S FOTO: © BAILLIE GIFFORD & CO

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