Institutional Money, Ausgabe 3 | 2021

S ogenannte „softe“ Faktoren waren in den Wirtschafts- und Finanzwissenschaften jahrzehn- telang nicht besonders beliebt. Das Bild des Homo oeconomicus dominier- te die makroökonomischen Modelle. Per- sönliche oder gesellschaftliche Präferenzen wurden ausgeblendet. Dieser akademischen Weltanschauung wurden spätestens im Verlauf der großen Finanzkrise (GFC, Great Financial Crisis) ihre Grenzen aufgezeigt. Ökonomen, die bislang ent- lang der klassischen Lehren argumen- tiert hatten, mussten sich die Frage gefallen lassen, wieso sie die Katastro- phe so überhaupt nicht auf dem Radar hatten. Nachdem sie eine befriedigende Antwort schuldig blieben – oder besser:  bleiben mussten –, wandte sich der Fokus in Richtung alternativer Erklärungs- versuche, also etwa behavioristischer oder spieltheoretischer Modelle, die den Faktor „Mensch“ besser in das Marktgeschehen einbeziehen können. Tatsächlich sind diese soften Erklärungs- faktoren seit der GFC noch wichtiger ge- worden. Das liegt an den beiden Revolutio- nen, die seither ihre Spuren in der Finanz- welt hinterlassen haben: zunächst ETF und dann ESG. In ETFs sind weltweit inzwi- schen 1,6 Billionen US-Dollar investiert. Die leichte Zugänglichkeit zu diesen Pro- dukten hat zur viel beschworenen Demo- kratisierung der Märkte beigetragen – ein Faktum, das durch Zahlen belegbar ist: Denn während die herkömmlichen Aktien- märkte je nach Definition von 65 bis 80 Prozent durch institutionelle Investoren be- spielt werden, sind es bei Aktien-ETFs nur mehr 49 Prozent. „Engt man das Feld auf ETFs ein, die laut Marie Brière und Stefano Ramelli „grün sind, so liegt der institutio- nelle Anteil nur mehr bei 31 Prozent“, wie die beiden Autoren der Studie „Green Sen- timent, Stock Returns and Corporate Beha- vior“ zusammenfassen. Privatanleger sind im ETF-Bereich also viel stärker vertreten, als es in anderen Marktsegmenten üblich ist. Nachdem individuelle Anleger schlech- ter informiert sind als institutionelle, „gehen wir davon aus, dass die Nachfrage nach grünen ETFs stärker von nichtfundamenta- len Faktoren abhängig ist, als das bei Ein- zelaktien der Fall ist“, erklärt Brière, bei Amundi Head of Investor Research Center. Das sollte also bei grünen ETFs zu stärke- ren Übertreibungen führen als bei her- kömmlichen Aktien und ETFs. Wenn dem so ist: Lassen sich diese Über- treibungen messen? Und: Könnte man all- fällige Übertreibungen prognostizieren? Laut den Studienautoren lautet die Antwort auf beide Fragen „Ja“. Arbitrage-Mechanismen Zugrunde liegt diesen Möglichkeiten die spezielle Ausgestaltung von ETFs und ih- rem Arbitrage-Mechanismus, der sich aus dem Spiel zwischen Primär- und Sekundär- markt ergibt. Der Primärmarkt umfasst Au- thorized Participants (APs) wie Goldman Sachs, J.P. Morgan oder die Deutsche Bank. Diese handeln direkt mit ETF-Emittenten wie zum Beispiel iShares oder Amundi, um ETF-Anteile auf der Grundlage der Markt- nachfrage zu schaffen oder zurückzukaufen. Umweltbewusste Investoren scheinen Aktien, die hohe ESG-Scores ausweisen, relativ unabhängig von deren Fundamentaldaten zu kaufen. Das legt zumindest ein neuer und hochinteressanter Ansatz zur Analyse von ETF-Arbitrage nahe. ETFs als Erfolgsstory – am Beispiel USA ETF-Strategien wurde in den vergangenen Jahren immer mehr Vertrauen geschenkt – mit Wirkung auf die Marktstruktur. Der Run auf ETFs hat gegen Ende des vergangenen Jahrzehnts mit vollem Schwung eingesetzt. In den USA wurde in diesem Zusammenhang die Vier-Billionen-Dollar-Marke‚ geknackt. Quelle: Studie 0,0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 I 2020 I 2019 I 2018 I 2017 I 2016 I 2015 I 2014 I 2013 I 2012 I 2011 I 2010 I Verwaltetes ETF-Vermögen USA Bio. US-Dollar » Die Nachfrage nach grünen ETFs ist relativ stark von nichtfundamentalen Faktoren abhängig. « Marie Brière, Head of Investor Research Center Amundi Homo oecologicus 198 N o. 3/2021 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N | E SG -ME THOD I K FOTO: © AMUNDI, PICT RIDER | STOCK.ADOBE.COM

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