Institutional Money, Ausgabe 2 | 2021

in der Vergangenheit. Mergers & Acquisi- tions haben dazu geführt, dass die Konzen- tration in den Branchen höher ausfällt, und gelistete Firmen tendieren stark dazu, ihre eigenen Aktien zurückzukaufen und damit ihr Kapital zu verringern. Die Marktkapita- lisierung des US-Aktienmarktes ist seit 1976 trotz des Rückgangs der Zahl der gelisteten Firmen signifikant gestiegen. So hat der Marktwert der notierten US-Gesell- schaften von 1976 bis 2019 um neun Pro- zent pro Jahr zugenommen, während die Anzahl der Aktien um 0,6 Prozent jährlich abgenommen hat. Insbesondere seit 1996 ist die Zahl der gelisteten Firmen rück- läufig, obwohl das BIP seither um 70 Pro- zent und die Bevölkerung um 20 Prozent gestiegen sind. Wissenschaftler, die ein Re- gressionsmodell auf Basis von BIP, Bevöl- kerungswachstum und Governance entwi- ckelt haben, sind der Ansicht, dass die An- zahl der gelisteten Firmen um 5.800 bis 12.200 höher sein müsste, als sie es heute tatsächlich ist. Ende 2019 waren es exakt 3.473. Zu nennen sind hier beispielhaft Ga- briele Lattanzio, William Megginson und Ali Sanati, die 2020 ein Paper mit dem Titel „Listing Gaps, Merger Waves and the Privatization of American Equity Finance“ veröffentlichten. Andere Kapitalmarktforscher schlagen vor, die korrekte Maßzahl für die Leben- digkeit des Aktienmarktes müsse auf die Bewegung der Unternehmensaktiva abzie- len. Es gelte, die Transaktionen zwischen Firmen zu verstehen, inklusive des Asset- Transfers von gelisteten an gelistete, von gelisteten an nichtgelistete und von nicht- gelisteten an gelistete Unternehmen. Dies würde bedeuten, dass wenn eine börsennotierte Firma eine ande- re börsennotierte übernimmt, zwar das nominelle Listing um eins schrumpft, nach der Real-Asset- Methode hingegen die Anzahl ident bleibt. Nach dieser Logik müsste der Erwerb einer privaten Firma durch eine börsennotierte eine Verdoppe- lung – aus eins mach zwei – bedeu- ten. Wendet man diese Methode an, dann würde die Zahl der börsen- notierten Unternehmen seit den 90er-Jahren nur um weniger als fünf Prozent schrumpfen – und die Dis- kussion um die Wettbewerbsfähig- keit und Vollständigkeit des US- Aktienmarktes wäre beendet. Listing Gap Craig Doidge, Andrew Karolyi und René Stulz sind wohl die prominentesten Ökono- men, die sich mit dem Listing Gap befas- sen. Ihrer Ansicht nach hat die Neigung des Topmanagements von Unternehmen, ein Listing an der Börse anzustreben, aber auch die Dichte an geeigneten Börsenkandidaten abgenommen. Um die geringere Tendenz zur Börsennotiz zu verstehen, bedürfe es der Betrachtung einer Kosten-Nutzen-Ana- lyse. Auf der Kostenseite stünden die Ge- bühren für die Notiz, Ausgaben für Offen- legungspflichten, das Risiko, dass Wettbe- werber von den offengelegten Informatio- nen profitieren könnten, und Kosten für Investor Relations. Dazu kommt, dass das Topmanagement kurzfristige Leistungs- nachweise erbringen muss (Quartalsberich- te), ein höheres Profil in den Medien besitzt und man sich als Unternehmensführung mit dem Urteil und den Aktionen von aktivisti- schen Investoren auseinandersetzen muss. Das alles kann als Ablenkung von der Aus- richtung auf die Realisierung von langfristi- gen Unternehmenszielen verstanden wer- den. Zudem sind viele dieser Kosten Fix- kostenblöcke und seit Längerem im Steigen begriffen. Auf der Habenseite stehen laut den drei Ökonomen der leichtere Zugang zu Kapital für interne Zwecke genauso wie für Übernahmen, die Liquidität beim Handel von Unternehmensanteilen, eine Preisbil- dung durch den Markt und die Abdeckung durch Analysten. Stellt man Soll und Haben gegenüber, schätzen Doidge, Karolyi und Stulz, dass die Neigung zum Going Public seit der Mitte der 90er-Jahre um gut die Hälfte gesunken ist. Andere Volkswirte erklären sich den deutlichen Rückgang der Anzahl von notier- ten Gesellschaften damit, dass ihrer Mei- nung nach die erforderliche Unternehmens- größe für ein Listing heute deutlich höher liegt als in der Vergangenheit. Die Steige- rung der Fixkosten über die Jahrzehnte für ein Listing wird hier ins Treffen geführt. Zu nennen ist auch der Sarbanes-Oxley Act von 2002, der die Offenlegungsverpflich- tungen für Management, Verwaltungsrat und Wirtschaftsprüfer gelisteter Firmen teil- weise neu einführte und bestehende Ver- pflichtungen verschärfte, der aber offen- sichtlich keine zentrale Rolle bei diesen steigenden Kosten einnimmt. Limitierte Profitabilität Dass heute weniger Firmen an die Börse kommen, liegt an der sogenannten „Small Size Trap“. Diese besagt, dass es für klei- nere Firmen heutzutage schwieriger gewor- den ist, zu großen Unternehmen zu werden. In den 90er-Jahren wuchsen immerhin 15 bis 20 Prozent der kleineren Firmen jedes Jahr zu mittelgroßen oder Großunterneh- men heran. Dieser Prozentsatz hat sich in der Zwischenzeit halbiert. Dazu kommt eine Profitabilitätslücke: Während die Dif- ferenz im Medianwert der Kapitalrentabili- tät zwischen großen und kleinen Firmen in den 90er-Jahren 15 Prozentpunkte betrug, liegt sie heute in einer Bandbreite von 30 bis 35 Prozent. Zu dieser Erkenntnis ge- langten Govindarajan, Lev, Srivastava und Enache in „The Gap Between Large and Small Companies Is Growing: Why?“. Diese Rentabilitätsbeschrän- kungen der kleinen Unternehmen schaffen Opportunitäten für Ver- bund- und Skalenerträge. Dadurch wird eine kleine Firma wertvoller, wenn sie Teil einer großen wird. Somit lässt sich für den Verkäufer der kleinen Firma ein höherer Wert durch einen Verkauf an ein Großun- ternehmen realisieren als bei einem Börsengang durch ein IPO, mit dem man selbstständig bleiben würde. Und tatsächlich kann man einen Rückgang der IPOs, eine Zunahme des M&A-Geschäfts sowie eine höhere Durchschnittsgröße bei den notierten Unternehmen beobachten. IPO-Entwicklung USA von 1976 bis 2019 Seit Mitte der 90er-Jahre weist der Trend eindeutig nach unten. Von 1976 bis 2000 gab es im Durchschnitt 282 IPOs pro Jahr, von 2001 bis 2019 waren es im Schnitt nur mehr 114 IPOs jährlich. Quelle: Jay R. Ritter 0 100 200 300 400 500 600 700 Initial Public Offerings (IPOs) in den USA Anzahl 2015 2010 2005 2000 2020 1995 1990 1985 1980 1975 N o. 2/2021 | www.institutional-money.com 91 T H E O R I E & P R A X I S | PR I VAT E EQU I T Y V S . PUB L I C EQU I T Y

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