Institutional Money, Ausgabe 2 | 2021

Drei Fragen an vier Experten Nachhaltigkeit ist gekommen, um die Marktakteure noch viele Jahre zu beschäftigen. Daniel Sailer : Die Gefahr von Klumpenrisiken besteht, eine Blase erkennen wir noch nicht. Gespräche mit Anlegern zeigen, dass die Nach- frage nach nachhaltigen Fonds dynamisch wächst – über alle Assetklassen und Kunden- gruppen hinweg. Wenn in der Folge Asset Manager ihre Portfolios ähnlich ausrichten, fließt das Kapital einer bestimmten Gruppe von Unternehmen zu – was je nach Branche die Anlagemöglichkeiten deutlich einschränken kann. Im Gegenzug profitieren nachhaltige Unternehmen von geringeren Kapitalkosten, z. B. durch den leichteren Zugang zu Kapital. Andrea Carzana: Nein. Da immer mehr Unternehmen nachhaltiger werden, wächst das Anlageuniversum. Das bedeutet mehr Chancen für aktive Investoren. Viele Firmen suchen nach Alternativen zu traditionellen, kohlenstoffintensi- ven Geschäftsmodellen. Sie wollen stärker auf erneuerbare Energien setzen und umweltfreund- licher werden. Wenn sich die Bewertungen eini- ger Aktien auf Blasenniveaus befinden, ist es unsere Aufgabe als aktive Investoren, die besten Chancen zu finden – aus nachhaltiger ebenso wie aus finanzieller Sicht.   Ulrik Fugmann: Nachhaltige/ESG-Aktien haben sich deutlich schlechter entwickelt als der Gesamtmarkt, was der Rückgang des iShares Clean Energy um 38 Prozent i. V. zu seinem Höchststand im Januar zeigt. Ursache war der starke Anstieg der US-Zinsen von 0,9 auf 1,77 Prozent, was Anleger in Wachstumsaktien stark verunsicherte. Wir halten den Zeitpunkt für einen Einstieg in ESG-Aktien jedoch für sehr günstig: niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis, starke politi- sche Unterstützung der Netto-Null-Ziele, steuer- liche Förderung von Solar- und Windenergie. Risiken können aus einer Verknappung von Halbleiter und zu niedrigen Produktionskapazi- täten angesichts hoher Nachfrage resultieren. Victoria Arnold: Wir sind der Überzeugung, dass Nachhaltigkeitsrisiken Anlagerisiken sind. Nachhaltigkeit ist kein Trend und betrifft alle Vermögenswerte. Denn die direkten Folgen des Klimawandels und die bevorstehende Umschich- tung von Kapital werden die ökonomischen Fundamentaldaten, die erwarteten Renditen und die Risikoeinschätzungen verändern. Man kommt nicht umhin, diese Folgen zu berück- sichtigen – und zwar weit über ein einfaches Herausfiltern bestimmter Aktien hinaus. Nach- haltigkeit lässt sich sowohl breit als auch mit thematischen Anlagen abbilden. Daniel Sailer, Sustainable Investment Office, Metzler AM Andrea Carzana, Portfoliomanager für europäische Aktien bei Colum- bia Threadneedle Ulrik Fugmann, Portfoliomanager des BNP Paribas Energy Transition Fund von BNP Paribas AM Victoria Arnold, lokale ESG- Ansprechpartnerin bei BlackRock Inwieweit drohen bei nachhaltigen Aktien eine Blase oder zumindest Klumpenrisiken? Droht bei nachhaltigen Aktien (die vielfach als hoch bewertet gelten) zukünftig eine Underperformance? Daniel Sailer: Nachhaltigkeit ist ein Thema, das gekommen ist, um zu bleiben. Denn neben positiven Aspekten in Bezug auf Klimaschutz oder soziale Themen macht es auch ökonomisch Sinn. Der Einbezug von qualitativ und funda- mental orientierten ESG-Kriterien als komple- mentäres Element in der Unternehmensanalyse hat insbesondere in Marktphasen von extremem Stress geholfen, Portfolios stabiler und qualitativ hochwertiger aufzustellen. Darüber hinaus wirken Themen wie der EU-Green-Deal oder die Taxonomie-Verordnung trendverstärkend. Andrea Carzana: Dabei handelt es sich nicht um einen Trend, sondern um eine struk- turelle Veränderung. Die Welt produziert jährlich weiterhin zirka 51 Milliarden Tonnen Treibhaus- gase. Bevor alle Unternehmen grün werden können, benötigen wir Alternativen, um diese Emissionen zu vermeiden. Was das bedeutet, ist klar: Innerhalb der nächsten Jahrzehnte braucht es Rekordinvestitionen in die globale Energiewende. Das eröffnet Anlagechancen noch nie dagewesenen Ausmaßes. Viele der erforder- lichen Technologien müssen erst noch kommer- zialisiert werden. Ulrik Fugmann: Für uns ist Umwelt das Investitionsthema unserer Zeit. Es ist selten, dass Innovation, Verbraucher- und Erzeugernachfrage, Politik, Regulierung und Kosten Rückenwind für ein einziges Thema sind – und das ist sicherlich hier der Fall. Wir müssen dringend dekarboni- sieren und die Ökosysteme der Welt wiederher- stellen. Aber wir liegen noch viel zu weit zurück, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Daher werden weltweit mit harten Null-Netto-Zielen und hohen Investitionen gegen den Klima- wandel ankämpfen müssen. Wir stehen erst am Anfang dieser großen Aufgabe unseres Jahrzehnts. Victoria Arnold: Wir sehen hier einen strukturellen Wandel. Fortschritte bei Technologie und Datenanalysen werden in Zukunft noch umfassendere Erkenntnisse ermöglichen, um Nachhaltigkeitsrisiken zu verstehen. Daher wird sich Nachhaltigkeit als neuer Investmentstan- dard etablieren, so wie es bei BlackRock bereits heute der Fall ist. Die Dynamik dürfte sich in den nächsten Jahrzehnten weiter beschleunigen. Denn dann werden weltweit Billionen Dollar in die Hände der Millennials gelegt, die den Umgang der Welt mit dem Thema Nachhaltig- keit neu definieren werden. Wie viele Jahre könnte der Boom bei „nachhaltigen“ Aktien noch andauern? Daniel Sailer: Aus unserer Sicht sind die Analyse des Geschäftsmodells sowie aktives Management entscheidend für den Erfolg. Kom- mentare, die pauschal vor dem Platzen einer grünen Blase warnen, gilt es zu hinterfragen. So liegt das KGV des MSCI Europe ESG Leaders Index per Ende März 4,6 Prozent unter dem des MSCI Europe Index. Innerhalb von Sektoren gibt es Unternehmen, die um ein Vielfaches höher bewertet sind. Dies bietet langfristig und funda- mental denkenden Portfoliomanagern Chancen auf Mehrrendite durch eine qualitative diskretio- näre Aktienauswahl. Andrea Carzana: Es besteht durchaus ein Risiko, dass alle auf das gleiche Thema oder die gleiche Aktie setzen und dabei andere Segmen- te außen vor lassen, zum Beispiel soziale. Daher ist ein ganzheitlicher Ansatz beim nachhaltigen Investieren wichtig. Wir schauen nicht nur darauf, wie ein Unternehmen aktuell dasteht, sondern auch, wohin es sich entwickelt – zum Beispiel, ob es künftig nachhaltige Ergebnisse erzielen wird. Ebenso wichtig ist uns, wie es diese Ergebnisse erzielt. Darüber hinaus redu- ziert eine aktive Wertpapierauswahl zyklische Risiken. Ulrik Fugmann: Ich denke, dass der Markt weiterhin für ESG-Aktien spricht angesichts der hohen Nachfrage, des technologischen Fort- schritts und der politischen Unterstützung; man denke allein an Elektro- und Hybridfahrzeuge. Portfolios, die jedoch allein auf ESG-Scores basieren, könnten sich unterdurchschnittlich entwickeln, wenn die Value/Growth Rotation weitergeht. Wir stehen für einen thematischen Ansatz, der das „E“ stärker berücksichtigt und die dynamische Entwicklung in diesen Sektoren nutzt. Victoria Arnold: Unserer Ansicht nach sind die Konsequenzen einer Umstellung auf nach- haltige Geldanlage noch nicht vollständig in den Wertpapierkursen enthalten, weil die entspre- chenden Kapitalströme noch am Anfang stehen. Werden Nachhaltigkeitsrisiken transparenter und damit eingepreist, wird dies auch die Finanzierungskosten für Unternehmen verän- dern. Somit entsteht ein Anreiz, sich nachhal- tiger aufzustellen. 180 N o. 2/2021 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N | E SG - B L A S E FOTO : © MAN J I T J A R I , COLUMB I A T HR E ADNE ED L E , S T E V ENS F R ÉMONT, B L ACK ROCK

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