Institutional Money, Ausgabe 2 | 2021

W ill man zumindest eine erste Ahnung davon er- haschen, wie sich die ökonomische Weltan- schauung des islamischen Kulturkreises von jener der westlichen Industrienationen un- terscheidet, lohnt es sich, das Wort „Riba“ etwas genauer zu analysieren. Im Westen kennt man diesen Begriff in seiner Inter- pretation als „Zins“, der ja im islamischen Recht verboten ist. Die ursprüngliche arabi- sche Wortbedeutung ist jedoch „Exzess“ oder auch „exzessiv“. Das ist insofern inter- essant, als es klar macht, dass dem islami- schen Finanzwesen grundsätzlich ein durch- gehendes ethisches Fundament zugrunde liegt. Damit drängen sich Parallelen zur in- stitutionalisierten ESG-Implementierung auf, die ja ebenfalls von ethischen Grundsätzen getragen wird – hinzu kommt, dass Islamic Finance, ähnlich wie ESG (Economic, So- cial, Governance), in den vergangenen Jah- ren einen veritablen Boom erlebt hat. Laut Daten des „Islamic Finance Development Report 2020“ von Refinitiv und ICD (Isla- mic Corporation for the Development of the Private Sector) ist der schariakompatible Fi- nanzmarkt im Jahr 2019 um 14 Prozent ge- wachsen. Rund 2,9 Billionen US-Dollar wurden Anfang 2020 im islamischen Fi- nanzwesen verwaltet, bis 2024 sollen es 3,7 Billionen sein – um es in Relation zu setzen: Diese Zahl entspricht in etwa der gegenwärtigen gesamten Marktkapitalisierung des Euro Stoxx 50. Potenzielle Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind in diesen Projektionen bereits berücksichtigt. Ein guter Teil dieses Wachstums kommt aus dem institutionellen Be- reich. Sukuk – also islamkonforme Anleihen – und islamische Fonds- produkte, die ein Wachstum von 30 Prozent aufwiesen, gehörten zu den wichtigsten Treibern eines Wachs- tums, „das sich trotz der Unsicherheit im Markt, ausgelöst durch schwache Ölpreise und gedämpftes industrielles Wachstum, eingestellt hat“, wie es im Report heißt. Und wenngleich die Pandemie natürlich ebenfalls ihre Spuren hinterlassen hat, spre- chen einige Faktoren dafür, dass Islamic Finance an Bedeutung gewinnen sollte – wobei einer dieser Faktoren grosso modo eher mit Unsicherheit als mit Chance in Zusammenhang gebracht wird: der Brexit. London macht mobil Denn mit dem Ausstieg aus der EU sah sich London in seinem Status als wich- tigstes Finanzzentrum bedroht. Als Vorbote eines potenziellen globalen Bedeutungsver- falls ist laut John R. Bryson, Professor of Enterprise and Economic Geography an der University of Birmingham, die sinkende Bedeutung Londons als Europa-Börsenplatz interpretiert worden, hat doch Amsterdam im Februar 2021 London bei den abgewi- ckelten Transaktionen von europäischen Aktien zum ersten Mal hinter sich gelassen und die britische Hauptstadt im einschlägi- gen Ranking auf Platz zwei verwiesen. Die- se Entwicklung müsse sich laut Bryson aber nicht notwendigerweise auf den gesamten Finanzplatz übertragen, weist das UK ge- genüber der EU doch einige Wettbewerbs- vorteile auf. Dazu gehört die im Gegensatz zur Union bestehende legistische Einheit, die eine höhere Beweglichkeit in Struktur- fragen ermöglicht. Will London seinen Sta- tus als wichtigstes Finanzzentrum bewah- ren, muss das Land genau diese Agilität auch umsetzen: „Die City muss bei der Ent- wicklung im Bereich Green und Islamic Fi- nance innovativ bleiben“, so Bryson. ALF im UK gelandet Dass die britischen Entschei- dungsträger diese Analyse teilen und somit eine gute Chance auf Umset- zung dieser Forderung besteht, hat einer der wichtigsten Player an den Finanzmärkten bereits demonstriert: die Bank of England (BoE). Die bri- tischen Währungshüter haben näm- lich zu Beginn dieses Jahres ihre Alternative Liquid Facility (ALF) Islamic Finance steht in den westlichen Industrieländern noch nicht wirklich im Fokus der Investoren. Lokale und globale Trends sowie überraschend hohe Erträge von schariakompatiblen Fonds und Indizes könnten jedoch zu einer verstärkten Nachfrage führen. ESG à la Scharia Dynamisches Wachstum Schariakonformes Vermögen ist zuletzt stark gewachsen. In Europa noch ein Nischenmarkt, ist Islamic Finance in vielen Regionen ein unumgängliches Thema. Bis 2024 sollen die Assets under Management auf 3,7 Billionen US-Dollar steigen. Quelle: GCC 2,88 Bio. US-Dollar islamische Finanz-Assets gesamt 14 % annualisiertes Wachstum islamischer Finanz-Assets 1.526 islamische Finanz- institute weltweit » Will London seinen Status bewahren (…), muss die City nicht zuletzt in den Bereichen Green und Islamic Finance innovativ bleiben. « John R. Bryson, Professor of Enterprise and Economic Geography an der University of Birmingham 162 N o. 2/2021 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N | I S L AMI C F I NANC E FOTO : © MUHAMMAD FADH L I | S TOCK . ADOB E . COM

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