Institutional Money, Ausgabe 2 | 2021

D ie Literatur kennt zwei unter- schiedliche Varianten, um Ef- fekte wie Momentum oder Value zu erklären. Die Ver- treter klassischer Kapitalmarktmodelle ver- binden diese mit besonderen Risiken in den Fundamentaldaten der jeweiligen Unter- nehmen, die durch entsprechende Prämien kompensiert werden. Im Gegensatz dazu argumentieren Vertreter der Behavioral Finance, dass es sich um Renditeanomalien handelt, die durch bestimmte Charakteristi- ka und (irrationale) Verhaltenseffekte der Marktteilnehmer hervorgerufen werden. Die Herausforderung besteht nun darin heraus- zufinden, welcher der beiden Erklärungs- ansätze zutrifft. Dabei existiert auf beiden Seiten eine Reihe von Studien mit entspre- chender Evidenz, sodass die Frage nach wie vor nicht abschließend geklärt ist. Risikoprämie vs. Anomalie Eine interessante Konstellation, sich dem Thema zu widmen, bietet die besondere Struktur der sogenannten „Zwillingsaktien“ am chinesischen Aktienmarkt. Dabei han- delt es sich um Aktien der gleichen Un- ternehmen mit identischen Cashflows und Stimmrechten, also mit übereinstim- menden Fundamentaldaten. Allerdings werden diese an verschiedenen Börsen von unterschiedlichen Gruppen von Marktteilnehmern gehandelt. Im über- tragenen Sinne könnte man deshalb von siamesischen Zwillingsaktien sprechen: Zum einen unterscheiden sie sich, zum anderen aber sind sie gleichzeitig un- trennbar miteinander verbunden. Sollten die beiden Aktiengattungen dabei unter- schiedliche Kurseffekte aufweisen, lie- ßen sich diese auf die verschiedene Klientel an Investoren zurückführen, die die Aktien handeln beziehungsweise halten. Der chinesische Aktienmarkt Zur Untersuchung der Zwillingsaktien betrachten die drei Autoren Andy Chui, Avanidhar Subrahmanyam und Sheridan Titman in ihrer Studie „Momentum, Rever- sals, and Investor Clientele“ den Markt für A- und B-Aktien in China. Zum besseren Verständnis beschreiben sie zunächst die Struktur des Marktes. Demnach ist der Han- del von A- und B-Aktien an den Börsen in Shanghai und Shenzhen möglich. Der Un- terschied zwischen den beiden Aktiengat- tungen besteht darin, dass A-Aktien in der Landeswährung (Renminbi) und B-Aktien in ausländischer Währung notieren. Die entsprechenden Währungen sind jeweils auch zum Handel erforderlich. Der Markt für B-Aktien wurde speziell dafür geschaf- fen, um Unternehmen den Zugang zu aus- ländischem Kapital zu ermöglichen. Die B- Aktien notieren in Shanghai in US-Dollar und in Shenzhen in Hongkong-Dollar. Anfangs waren die beiden Märkte komplett voneinander getrennt, sodass inländische Anleger nur A-Aktien und ausländische Investoren nur B-Aktien handeln konnten. Im Februar 2001 erlaubte die chinesische Regierung inländischen Privatanlegern – nicht aber institutionellen Investoren – den Handel mit B-Aktien. Allerdings kamen die chinesischen Privatanleger aufgrund stren- ger Devisenkontrollen kaum in Versu- chung, nennenswert in B-Aktien zu inves- tieren. Zudem weisen diese gegenüber A-Aktien eine geringere Liquidität auf. Umgekehrt durften ausgewählte institu- tionelle Anleger im Rahmen der langsa- men Öffnung des chinesischen Finanz- marktes ab 2003 in A-Aktien investieren. Dafür wurden bestimmte Höchstquoten festgelegt, die im Lauf der Jahre deutlich angehoben wurden. Trotzdem blieb der Anteil ausländischer Institutionen an A- Aktien extrem niedrig und betrug im Betrachtungszeitraum der Studie durch- schnittlich nur 0,2 Prozent. Im Jahr 2019 wurden die Obergrenzen für qualifizierte Investoren ganz abgeschafft, was mit einer zunehmenden Berücksichtigung Chinesische A- und B-Aktien sind identisch, was ihre Fundamentaldaten angeht. Da der Marktzugang aber klar reglementiert war, unterscheidet sich die Anlegerstruktur erheblich. Das bietet ein interessantes Set-up zur Analyse damit verbundener Renditeeffekte. Größte Aktienmärkte China rückt deutlich nach vorn. Nach den USA mit NYSE und Nasdaq ist China mit Shanghai und Shenzhen der zweitgrößte Aktienmarkt der Welt. Stand: Februar 2021 | Quelle: World Federation of Exchanges LSE Shenzhen Euronext Japan Shanghai Hongkong Nasdaq NYSE 25,6 19,5 6,7 6,6 6,5 5,1 4,8 3,8 Marktkapitalisierung in Bio. USD » B-Aktien zeigen Momentum und einen Earnings Drift, A-Aktien dagegen kurzfristige Reversals. « Avanidhar Subrahmanyam, Distinguished Professor of Finance, Goldyne and Irwin Hearsh Chair in Money and Banking, The Anderson School, UCLA Das Zwillings -Experiment 134 N o. 2/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | CH I NA - AK T I EN FOTO : © UC L A , MACROMAN | S TOCK . ADOB E . COM

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