Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

Tatsächlich gab es bislang relativ wenig Studien zu diesem Themenkomplex der Reaktion von Aktien- und Rentenmärkten auf knappe Wahlergebnisse, was wohl da- mit zu tun hat, dass es alles andere als leicht ist, angesichts von Antizipationseffekten und multikausalen Zusammenhängen valide Schlüsse in Bezug auf Ursache und Wir- kung zu ziehen. Simultane Kausalitäten rüh- ren vom starken Einfluss wirtschaftlicher Faktoren auf politische Entwicklungen her, Antizipation wiederum resultiert aus der Tatsache, dass politische Veränderungen oftmals größtenteils aufgrund von Wähler- befragungen richtig prognostiziert werden, und zwar speziell dann, wenn es während des Wahlkampfs in der Präferenz von Par- teien beziehungsweise Kandidaten sehr gro- ße Unterschiede gibt und sich die Kapital- marktakteure im Hinblick auf den wahr- scheinlichen Wahlausgang bereits entspre- chend positionieren. Angesichts dieser problematischen Ge- mengelage setzt der Autor eine Regres- sions-Diskontinuitäts-Analyse ein. Dieses Verfahren wird in der Ökonometrie dazu verwendet, kausale Effekte der Veränderung einer Variablen auf die Veränderung anderer Variablen zu identifizieren. Die grundlegen- de Idee ist dabei, eine Diskontinuität oder Unstetigkeit in einer beobachteten Kontroll- variable zu nutzen. Girardi vergleicht dabei Wahlergebnisse, bei denen die Linke ent- weder knapp gewann oder knapp verlor, und analysiert die Reaktion der Aktien- und Staatsanleihenmärkte. Diese laufende Kon- trollvariable in der Regressions-Diskonti- nuitäts-Analyse ist die Sieger-Verlierer- Marge des linken Präsidentschaftskandida- ten; bei Parlamentswahlen entspricht diese Variable dem Doppelten der Differenz der Parlamentssitze, die Mitte-links mehr erhält, als die Hälfte der Mandate ausmacht. Unterschiedliche Reaktionen Wie wichtig es ist, zwischen Wahlergeb- nissen generell und jenen mit einem knap- pen Ausgang zu unterscheiden, zeigt die Analyse (siehe Grafik „Sieg ist nicht gleich Sieg“). Hier sieht man, wie Kapitalmarktre- aktionen nach Wahlerfolgen von Mitte- links-Regierungen in den folgenden Han- delstagen ausfielen. Währung dies grund- sätzlich wenig Bewegung auslöst, verursa- chen knappe Wahlergebnisse deutlich stär- ker Ausschläge. Als knapper Wahlausgang gilt ein Ergebnis, bei dem die Sieger-Verlie- rer-Marge nicht mehr als zehn Prozent be- trägt. Wendet man den Regressions-Diskon- tinuitäts-Ansatz an, erhält man die Bestäti- gung dafür, dass linke Wahlsiege kurzfristig zu Abschlägen an den Aktienmärkten füh- ren, während sich die Reaktion an den Märkten für Staatsanleihen als gedämpft herausstellt. Im Schnitt führt ein knapper linker Wahlsieg dazu, dass reale Aktienkur- se kurzfristig um 13 bis 15 Prozent fallen, wobei sich diese negative Entwicklung auf den ersten Handelstag nach dem Wahlresul- tat konzentriert, wo man einen Aktienkurs- rückgang von fünf bis sieben Prozent beob- achten kann. Betrachtet man längere Zeit- horizonte, nämlich sechs bis zwölf Monate, findet man bemerkenswert weit streuende Auswirkungen der Wahlergebnisse. Im Schnitt ist eine gewisse Umkehrung der negativen Aktienmarktentwicklungen nach einem linken Wahlsieg zu beobachten, wo- bei diesem Rebound die statistische Signi- fikanz fehlt. Daraus schließt Girardi, dass Je knapper und je überraschender ein Wahlergebnis ausfällt, umso stärker reagieren die Märkte auf die neue Situation. Allerdings sind die Auswirkungen eines Urnengangs nur sehr kurzfristig feststellbar, über längere Spannen hinweg gilt nach wie vor der Spruch: „Politische Börsen haben kurze Beine.“ N o. 1/2021 | www.institutional-money.com 73 T H E O R I E & P R A X I S | WAHLGÄNGE UND BÖR S ENENTWI CK LUNG

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