Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

Z ur traditionellen Berichterstat- tung nach jeder überregionalen Wahl zählt das Interview mit einer prominenten Meinungs- forscherin oder einem bekannten Politolo- gen, in dem gefragt wird, warum man das Ergebnis nicht besser vorhergesagt habe. Anders formuliert: Gefühlt fällt schon seit vielen Jahren nahezu jedes Wahl- ergebnis „überraschend“ aus, tatsächlich weisen diese „Überraschungen“ aber eine beträchtliche Bandbreite auf. Den Vogel schoss dabei wohl Donald Trump im Jahr 2016 ab, sein Wahlsieg war davor nur von wenigen Beobachtern er- wartet worden. Rückblickend betrach- tet, erscheint es hingegen nicht überra- schend, dass der US-Aktienmarkt im Anschluss an den Wahlsieg des wirt- schaftsfreundlichen Republikaners einen „Trump-Boom“ sah. Allerdings löste 2020 auch der Wahlsieg des Demokra- ten Joe Biden in den Tagen nach dem Urnengang steigende Börsen aus; und das wirft die Frage auf: Ist es gleichgül- tig, welcher Kandidat letztendlich das Rennen macht? Eine generelle Regel für die zu erwartende Marktentwicklung nach knappen Wahlentscheiden scheint es oberflächlich betrachtet nicht zu ge- ben (siehe Grafik „Sechs Wahlergebnis- se, sechs Kapitalmarktreaktionen“) . In- tuitiv würde man annehmen, dass wenn Politiker des linken Spektrums gewin- nen, die Börsen auf Talfahrt gehen. Wer die Börsengeschichte kennt, wird sich eventuell an den Börsensturz von 1981 in Paris nach der Wahl François Mitte- rands oder die Baisse nach dem Sieg Salvador Allendes in Chile 1970 erin- nern – eine sichere Short-Wette ist ein sozialdemokratischer Sieg aber nicht. Aus diesem Grund lässt auch die Fi- nanzmarktforschung nicht locker. Und das ist durchaus begrüßenswert, denn aus Investorensicht wäre es durchaus inter- essant, sich rund um derartige politische Weichenstellungen richtig positionieren zu können. Der Ökonom Daniele Girardi, As- sistant Professor am Economics Department der University of Massachusetts in Amherst, ging in einem kürzlich publizierten For- schungspapier mit wissenschaftlichen Me- thoden an die Klärung der Frage heran, wie der Ausgang von Parlaments- und Präsi- dentschaftswahlen weltweit die Finanz- märkte beeinflusst. Insgesamt 758 Wahlgän- ge weltweit zwischen 1945 und 2018 bilde- ten den Gegenstand seiner Untersuchung. Wahlgänge und Börsenentwicklung. Nach knappen oder überraschenden Wahlausgängen kommt es zu abnormalen Renditen. Ein Kapitalmarktforscher hat dieses weite Feld für die Zeit seit 1945 systematisch aufgearbeitet. Sechs Wahlergebnisse, sechs Kapitalmarktreaktionen Dreimal überrascht die Rechte, dreimal die Linke die Kapitalmarktakteure. Während in den Fällen, wo Mitte-rechts knappe Siege feierte, die Börsen in den folgenden 15 Handelstagen fester gingen und Staatsanleihenrenditen fielen, ging es im umgekehrten Fall mit den Börsen in zwei von drei Fällen deutlich südwärts und mit Staatsanleihenrenditen aufwärts. Quelle: Studie 40 % 60 % 80 % 100 % 120 % –5 0 5 10 15 1970 Chile | Sozialist Allende zum Präsidenten gewählt 1981 Frankreich | Sozialist Mitterand zum Präsidenten gewählt 1987 Portugal | Mitte-rechts mit Parlamentsmehrheit 1992 UK| Konservative gewinnen Parlamentsmehrheit 2004 Spanien | Mitte-links mit Parlamentsmehrheit 2016 USA | Republikaner Trump zum Präsidenten gewählt Handelstage um den Tag der Wahl Aktiekurse » Je radikaler das Wahlprogramm, desto größer die darauffolgenden Kurseinbußen. « Daniele Girardi, Assistant Professor am Economics Department der University of Massachusetts in Amherst In den Tagen danach 72 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | WAHLGÄNGE UND BÖR S ENENTWI CK LUNG FOTO : © UN I V E R S I T Y OF MA S S ACHU S E T T S, R I CHE L L E | S TOCK . ADOB E . COM

RkJQdWJsaXNoZXIy ODI5NTI=