Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

drohen. Hat sich an Ihrer Meinung inzwi- schen etwas geändert? Gunther Schnabl: Nein! Denn im Grunde zombifizieren wir unsere Volkswirtschaften. Wenn wir alle retten, dann konservieren wir unbestritten die gegebenen wirtschaftlichen Strukturen. Das stabilisiert vielleicht auf die kurze Frist. Aber wir haben früher oder später einen negativen Einfluss auf die wirt- schaftliche Dynamik. Und wir haben keinen Strukturwandel mehr, die Anreize werden verfälscht und so weiter. Genau deswegen wird der Wohlstand verfallen. Wenn aber der Wohlstand verfällt, werden unweigerlich einzelne Akteure schlechtergestellt. Daraus entstehen soziale Konflikte, die durch die Umverteilungseffekte der Geldpolitik noch sehr viel mehr verstärkt werden. Dazu muss man sich nur den Wohnungsmarkt in Deutschland ansehen. Dort bahnen sich die sozialen Konflikte bereits an. Ich komme noch einmal zurück auf das Thema Inflation und Zinsanstieg. Wie muss eine EZB in dieser Konstellation ihre Politik verändern, ohne dabei in die Falle einer Art „Taper Tantrum“ zu laufen, wie das die USA schon einmal erlebt haben? Gunther Schnabl: Das erste Signal wäre, nicht mehr weiterzumachen mit der monetären Staatsfinanzierung. Die Signale, die derzeit ausgesendet werden, besagen ja eher, dass jeder zusätzliche Finanzierungsbedarf, wenn er wohlbegründet ist, dann auch von der EZB akkomodiert wird. Das schafft natür- lich viele Begehrlichkeiten. Man hat immer gute Gründe, mehr Geld auszugeben. Die mögen berechtigt sein oder nicht. Am Ende wird alles finanziert, was einigermaßen vernünftig erscheint. Damit haben wir natürlich eine Spirale aus zusätzlicher Staatsverschuldung und zusätzlichen An- käufen von Staatsanleihen durch die Euro- päische Zentralbank, die zunehmend das Vertrauen in unsere Währung und damit auch in unser Wirtschaftssystem wie auch in unser Gesellschaftssystem untergräbt. Das halte ich nicht für sinnvoll. Deswegen wäre der erste Schritt, damit aufzuhören, solche Signale auszusenden und den Bestand der Staatsanleihen einzufrieren. Alles andere ist sehr viel schwieriger und bedarf aus meiner Sicht einer internatio- nalen Koordination. Was meinen Sie damit? Gunther Schnabl: Wenn wir das einzige Land sind, das geldpolitisch strafft, fließt uns Kapital zu. Das aber schafft neuen inflatio- nären Druck, die Währung wertet auf, der Exportsektor kommt in Bedrängnis und so fort. Deshalb wäre ein solcher Schritt nicht möglich, ohne die USA mit im Boot zu haben. Andererseits kann eine solche Auf- wertung der Währung natürlich auch attrak- tiv sein. Dafür gibt es schließlich Beispiele in der Geschichte. Nennen Sie uns eines? Gunther Schnabl: In den siebziger Jahren hatte die Bundesbank eine stabilere Währung als andere Länder. Kapital floss zu, die D-Mark entwickelte sich zu einer Safe-Haven-Wäh- rung und hatte eine internationale Anker- funktion. Dadurch können natürlich zusätz- liche Finanzierungsmöglichkeiten für den Staat entstehen. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Deutschen oder Europa sich in den Wettbewerb mit den USA um die Stellung der Weltwährung begeben wer- den. In China allerdings zeichnet sich so etwas ab. Die Chinesen haben diese ganze monetäre Expansion im Zuge der Corona- krise nicht mitgemacht. Die Zentralbank- bilanz ist kaum gewachsen, und man lässt den Renminbi in kleinen Schritten leicht aufwerten gegenüber dem Dollar. Das könnte dazu führen, dass jetzt so etwas pas- siert wie in den siebziger Jahren in Europa, dass Ostasien sich vom US-Dollar entkop- pelt, wodurch den USA eine sehr wichtige » Wenn wir einen Nordeuro und einen Südeuro hätten, könnten die südeuropäischen Staaten abwerten und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen. « Gunther Schnabl, Universität Leipzig 44 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. GUNTHE R S CHNAB L | UN I L E I PZ I G FOTO : © MA RT I N NEUHOF

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