Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

ben. Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi hat bereits 2012 mit seiner berühmt gewordenen Äußerung „Whatever it takes“ signalisiert, dass die Staatsverschuldung im Süden der Währungsunion nicht mehr nach- haltig ist. Und ich würde mittlerweile auf- grund des Verlaufs der Coronakrise und was in diesem Zusammenhang noch ansteht, nicht mehr ausschließen, dass wir am Ende alle in einem Boot sitzen und fast alle Euro- Staaten darauf angewiesen sein werden, dass die EZB weiter in großem Umfang Staatsanleihen aufkauft. Dann wären wir endgültig mittendrin in der offenen mone- tären Staatsfinanzierung, die nach den europäischen Verträgen eigentlich verboten ist. Hat die Pandemie nicht gezeigt, dass eine Schuldenbremse zwar eine gute Idee sein mag, am Ende aber nicht zu realisieren ist, sobald auch nur an einer Stelle etwas wirk- lich gravierend schiefläuft, eben eine Pan- demie, die niemand auf dem Zettel hatte. Gunther Schnabl: Die Schuldenbremse scheint mir in der Tat eine Schönwetter-Regel zu sein. Mit einer solchen Regel wird gewis- sermaßen schon antizipiert, dass man sie unter bestimmten Umständen aussetzen kann. Die Pandemie kam zwar unerwartet, keineswegs unerwartet war jedoch die Krise im deutschen Exportsektor, die sich schon 2018 und 2019 sehr stark abgezeichnet hat. Zumindest unter österreichischen Ökono- men hat man schon lang eine solche Krise prognostiziert. Daher hätte sich der deutsche Staat auch darauf vorbereiten müssen. Die schwarze Null, die wir sehr lange vor der Krise hatten, kann man natürlich einerseits als vorausschauendes finanzpolitisches Handeln betrachten. Man kann sie aber auch sehen als Versäumnis, Rücklagen zu bilden für die große Krise, die eben nicht unerwartet war. Solche Rücklagen wurden nicht gebildet, und vielleicht hat man sich schon darauf eingestellt, dass die Krise groß genug sein wird, um dann die Schulden- regel auszusetzen. Ohne jetzt jemand Moral Hazard unterstellen zu wollen: Aber fest steht auch, wenn eine Krise nur groß genug ist, dann gibt es immer Gründe, Schulden- regeln auszusetzen. Erfährt die Schuldenbremse damit das gleiche Schicksal wie die schwarze Null, die auch schon keiner mehr auf der Rechnung hat? Gunther Schnabl: Ich betrachte mich als kon- servativen Ökonomen, entsprechend ist für mich Geldwertstabilität immer mit der Solidität der Staatsfinanzen verbunden. Da- her waren der Stabilitäts- und Wachstums- pakt wie auch die Schuldenbremse richtige Entscheidungen. Nur sind wir inzwischen in einer Situation, in der wir zwar eine ge- meinsame Geldpolitik haben, aber noch mehr oder weniger unabhängige Finanz- politiken auf nationaler Ebene. Da liegt aus meiner Sicht ein Konstruktionsfehler der Europäischen Währungsunion vor, der uns immer wieder auf die Füße fällt. Und spä- testens seit 2015 ist die geldpolitische Dis- ziplin außer Kraft gesetzt. Deshalb hat es auch keinen Sinn mehr, aus einzelstaatlicher Sicht eine Schuldenbremse zu verfolgen, wenn die Nachbarn schon alle keine nach- haltige Finanzpolitik mehr machen. Ihr Wissenschaftskollege Lars Feld gehört wie Sie zu den inzwischen immer weniger werdenden Verfechtern eines ordoliberalen » Die sehr starken Verteilungseffekte der ultralockeren Geldpolitik sind in gewisser Weise auch mit finanzieller Repression verbunden. « Gunther Schnabl, Universität Leipzig 40 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. GUNTHE R S CHNAB L | UN I L E I PZ I G FOTO : © MA RT I N NEUHOF

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