Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

niedrige Inflation per se ist ja kein Ziel. Was wir erreichen wollen, das ist ein gewisser Mehrwert für unsere Gesellschaft durch ei- ne niedrige Inflation, weil wir aus der Ver- gangenheit wissen, dass Inflation einerseits dazu geführt hat, dass die realen Löhne und damit die Kaufkraft der Menschen durch Inflation gesunken ist. Zudem lässt sich zei- gen, dass Inflation zu sehr starken Vertei- lungskonflikten geführt hat, oft zugunsten höherer Einkommens- oder Vermögens- gruppen. Diese negativen Effekte haben wir bisher der Konsumentenpreisinflation zuge- schrieben. Inzwischen aber führt das anhal- tend billige Geld der Notenbanken vor al- lem zu einem Anstieg der Vermögenspreis- inflation bei Aktien, Immobilien, Gold und neuerdings auch bei Bitcoin. Das ist weitgehend unbestritten. Wo liegt aus Ihrer Sicht das Problem? Gunther Schnabl: Es kommt zu negativen Effekten auf die realen Einkommen, weil die Finanzkrisen, die man in der Vergangen- heit immer wieder erzeugt hat, inzwischen zu einer ständigen Krisensituation geführt haben. Zudem wird die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften stark untergraben. Das hat einen negativen Einfluss auf das reale Lohnniveau in breiten Bevölkerungsschich- ten und führt eben zu solchen willkürlichen Verteilungskonflikten. Damit stellt sich die Frage nach den Kon- sequenzen, die sich daraus ergeben. Gunther Schnabl: Grundsätzlich ist die Beob- achtung robust, dass die sehr starken Vertei- lungseffekte der ultralockeren Geldpolitik, die in gewisser Weise auch mit finanzieller Repression verbunden ist, schon lange Zeit dazu führen, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich als Verlierer empfinden, die keine wirtschaftliche Perspektive für sich oder für ihre Familien sehen. Als logische Konsequenz daraus wenden sich diese Menschen von etablierten politischen Par- teien, die im Wesentlichen die aktuelle Geldpolitik flankieren, ab und driften an die Ränder. Ein Trend, den wir seit 20 oder 30 Jahren sehen, das ist der Zeitraum, in dem wir diese asymmetrische Geldpolitiken be- obachten. Das führt nicht nur zu einer star- ken Polarisierung unserer Gesellschaft, auch die Mittelschichten werden ausgehöhlt. Ins- besondere viele junge Menschen steigen aus der Mittelschicht ab. Viele Marktteilnehmer stellen sich die Fra- ge, ob das am Ende auch einen Anstieg der Zinsen bedeutet. Gunther Schnabl: Dazu gibt es zwei wider- streitende Interpretationen, und wir wissen noch nicht, wer recht behalten wird. Die eine Seite erwartet eine Entwicklung wie in Japan, wo die Bank of Japan schon sehr lang nicht nur die Zinsen am kurzen Ende niedrig hält, sondern über die quantitative Lockerung auch am langen Ende. Die ande- re Seite verweist auf wieder steigende Zin- sen und eine anziehende Inflation in den USA und wohl auch für den Euroraum. Wobei viele Staaten nicht nur in Europa angesichts der inzwischen deutlich weiter gestiegenen Verschuldung in diversen Län- dern einen Anstieg der Zinsen kaum ver- kraften könnten. Gunther Schnabl: Das ist auch unbestritten. Wenn die Zinsen ansteigen, werden die Haushalte vieler Regierungen durch wach- sende Zinsverpflichtungen blockiert. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Zentralbanken aus meiner Sicht inzwischen politisiert sind und in großem Umfang Staatsanleihen kaufen, damit eben die Staatsfinanzen der Länder nachhaltig blei- » Geldwertstabilität ist immer mit der Solidität der Staatsfinanzen verbunden. « Gunther Schnabl, Universität Leipzig 38 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF. GUNTHE R S CHNAB L | UN I L E I PZ I G FOTO : © MA RT I N NEUHOF

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