Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

eben zu nutzen: Soll ich denn in den Krieg ziehen, wenn ich weiß, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit verwundet zurückkehre? Hans Heuser: Ein Thema, das derzeit nicht nur Investoren, sondern auch die gesamte Asset-Management-Branche in Atem hält, und an dem auch Sie als Consultants mit Sicherheit nicht vorbeikommen, ist die Be- rücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Investmentstrategie und -prozess. Nicht zuletzt stellt sich auch hier die Frage, ob Investoren bei ESG-Strategien einer aktiven oder einer passiven Implementierung den Vorzug geben sollten. Welcher Weg bringt aus Ihrer Sicht welche Vor- und Nachteile? Tobias Bockholt: Grundsätzlich bringt das Thema ESG eine weitere aktive Kompo- nente mit rein. Denn als Investor muss ich am Ende eine Entscheidung treffen. Das größte Problem ist aktuell, dass ich einen entsprechenden ESG-Score, einen entspre- chenden Wert für eine Aktie oder eine An- leihe benötige, um diese Entscheidung über- haupt treffen zu können. Ein solcher Wert muss dann auch für meinen Investmentpro- zess definiert, entsprechend hinterlegt und abgebildet werden, um am Ende auch mess- bar zu sein. Hier sehe ich momentan im Grunde das größte Problem in Bezug auf die ESG-Thematik. Bisher scheint mir, dass zwar sehr viel in warmen Worten umschrie- ben und definiert wurde, dass aber über- haupt viel zu wenig konkrete, verwendbare Marktdaten verfügbar sind. Das spricht natürlich auf der anderen Seite ganz klar für wirklich aktives Management, das zu- dem deutlich besser darstellbar ist. Herwig Kinzler: Die grundsätzlichen Frage- stellungen, die durch die gesamte ESG-Dis- kussion aufgeworfen werden, sind ja im Prinzip durchaus richtig und angebracht. Um das aber in seiner gesamten Dimension beurteilen zu können, speziell in Bezug auf eine aussagefähige Messung, die Implemen- tierung im Investmentprozess wie auch die Frage, ob das passiv oder eben doch nur aktiv umgesetzt werden kann, befinden wir uns aus meiner Sicht eigentlich noch viel zu sehr in einem Frühstadium dieser Ent- wicklung und aller damit verbundenen Konsequenzen. Andererseits hat der Anle- ger das Thema inzwischen als für sich und seine Strategie bedeutsam und wichtig er- kannt. Deshalb versuchen Investoren schon, sich entsprechend aufzustellen und zu sor- tieren, zumal sie zum Teil schon gezwungen sind, die Berücksichtigung von ESG-Krite- rien über entsprechende Auswertungen zu dokumentieren. Das wiederum lässt die Anbieterseite höchst nervös reagieren. Hans Heuser: Wie meinen Sie das? Herwig Kinzler: Sowohl auf Seiten der Datenanbieter wie auch der Produktgeber wittert man die Chance, entsprechend neue Produkte platzieren zu können. Und in die- ser Gemengelage gibt es noch keine Daten- basis, von der man sagen kann, da kann ich auch aktives Management in gewisser Weise seriös messen. Deshalb glaube ich, ist eine sinnvolle Diskussion über die mit der Umsetzung des ESG-Themas verbun- denen Auswirkungen überhaupt erst zu ei- nem späteren Zeitpunkt seriös führbar. Im Moment jedenfalls raten wir auch unseren Kunden, die ESG-Umsetzung möglichst qualitativ anzugehen – nicht nur um zu beobachten, wie sich dieser neue Markt entwickelt, sondern auch weil die gesamte Datenlage eben noch extrem diffus ist. Jochen Kleeberg: Schon im Kern ist es ohne Zweifel eine aktive Aufgabe, sich die ESG- Prozesse eines Unternehmens sehr sorgfäl- tig anzuschauen und zu bewerten. Denn wer das Ganze aus der Perspektive des Anlegers betrachtet, erkennt sehr schnell, dass gerade das ESG-Thema immer eine sehr starke individuelle Komponente enthält. Gleichzei- tig ist gerade die Diskussion um Nachhal- tigkeit zum Teil sehr stark emotional auf- geladen. Daher muss ich sagen, dass es ein- fach nicht passen würde, mich in einem sol- chen Umfeld einem Indexgerüst zu unter- werfen. Auf diesem Index mag vielleicht ein bestimmtes Label kleben, das garantiert mir aber noch lange nicht, dass dieser Index auch wirklich das reflektiert, was ich als Investor als relevant erachte. » Wo kann sich aktives Management noch lohnen? Oder muss es sogar heißen: Kann sich aktives Management überhaupt lohnen? « Hans Heuser, Institutional Money F OTO : © J O S E P OB L E T E 164 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : ROUNDTABL E | CONSULTANT

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