Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

Empfehlungen in den USA keinen Vorteil erzielen – das Land rangiert in beiden Di- mensionen weit oben. Außerdem finden die Autoren heraus, dass die Einschätzungen von Analysten in Marktphasen mit schlech- ter Anlegerstimmung profitabler sind. Insgesamt ist die Antwort auf die Frage, ob Analysteneinschätzungen über kurzfristi- ge Effekte hinaus einen Mehrwert bieten, also: „Es kommt darauf an.“ Demnach soll- te zwischen den USA und dem Rest der Welt differenziert werden sowie auch allge- mein zwischen Developed und Emerging Markets. Auf Basis der Ergebnisse sehen die Autoren die intuitive Vermutung bestä- tigt, dass es leichter ist, Emerging Markets zu schlagen als Developed Markets. Zudem schlussfolgern sie, dass die Ergebnisse ge- gen grundsätzlich effiziente Märkte spre- chen – und dafür, dass Renditeanomalien tatsächlich existieren und zumindest zum Teil von Verhaltenseffekten der Marktteil- nehmer verursacht sind. Die Weisheit der Masse Neben den seit Jahrzehnten bekannten Analysequellen Investmentbanken und Bro- kerhäuser gewinnt dank des Internets eine Analystengruppe an Bedeutung, die wahr- scheinlich von vielen Großanlegern nach wie vor nicht beachtet oder aber unter- schätzt wird. Seit David Jackson im Jahr 2004 die Plattform Seeking Alpha gründete, beeinflusst die nach wie vor wachsende Gruppe der nichtprofessionellen Analysten das Marktgeschehen. Ihre Rolle gewinnt auch dadurch an Ge- wicht, dass die Anzahl profes- sioneller Analysten tendenziell abnimmt, in den letzten Jahren vor allem aufgrund neuer Be- stimmungen zur direkten Be- zahlung von Sell Side Research unter MiFID II. Die im Jahr 2013 veröffent- lichte, viel beachtete Studie „Wisdom of Crowds: The Va- lue of Stock Opinions Trans- mitted Through Social Media“ zeigte schon früh, dass nicht- professionelle Analysten eine zunehmend wichtige Rolle an den Finanzmärkten spielen. Die Autoren führten damals um- fangreiche textuelle Untersu- chungen von Analysen und Kommentaren auf Seeking Alpha durch. Das Ergebnis: Sowohl die Empfehlungen selbst als auch die dazugehörigen Kommen- tare konnten künftige Renditen vorhersagen. Dafür kamen zwei mögliche Erklärungen infrage: Die Analysen könnten echte Infor- mationen beinhalten, oder der positive Ren- diteeffekt könnte durch Nachahmen der Empfehlungen durch ausreichend viele nai- ve Leser erfolgen. Da die Autoren aber fest- stellten, dass die Analysten auch Über- raschungen bei Quartalszahlen voraussagen konnten, kamen sie zu dem Schluss, dass es sich um tatsächliche Informationen handelt. Weiterhin fanden sie Hinweise darauf, dass die Nutzer in einem gewissen Ausmaß zwi- schen Analysten mit gutem und schlechtem Track Record unterscheiden können und sich die Popularität der Analysten mit der Zeit entsprechend verbessert oder verschlechtert. Der Untersuchungszeitraum der Studie reichte von 2005 bis 2012. Heute hat Seeking Alpha nach eigenen Angaben über zehn Millionen registrierte Nutzer und ver- öffentlicht monatlich rund 7.000 Beiträge. Daran wird die weiter gestiegene Bedeu- tung der Plattform deutlich. Zudem gab es inzwischen weitere Studien zu dem Thema. Hier ist vor allem das aktuelle Paper „The Cross-Section of Non-Professional Analyst Skill“ der drei Autoren Michael Farrell, Russell Jame und Tian Qiu zu nennen, das die Einschätzungen der Non-Professionals im gesamten Zeitraum von 2005 bis 2017 näher untersucht. Messbarer Skill Die Autoren messen den Skill der Ana- lysten anhand der Überrenditen, die ein Investor bei Umsetzung der entsprechenden Empfehlungen über einen bestimmten Zeit- raum erzielt hätte. Dabei werden die Analy- sen anhand der angegebenen Einschätzung oder alternativ anhand des Sentiments der Analyse als Kauf- oder Verkaufsempfeh- lung klassifiziert (im Sentiment neutrale Beiträge wurden nicht mit einbezogen). Die Überrenditen messen die Autoren anhand eines Sechs-Faktor-Modells über Halte- dauern von fünf sowie 63 Han- delstagen. Das kürzere Zeit- fenster dient dabei der Ein- schätzung, wie effizient der Markt die Informationen der Analysen einpreist, während das längere Zeitfenster auf mögliche Über- oder Unter- reaktionen hinweisen soll. Die Untersuchungen erge- ben, dass 71 Prozent der Ana- lysten über den Fünftageszeit- raum positive Überrenditen er- zielen. Im Zeitfenster über 63 Tage sind es immerhin noch 60 Prozent. Gleichzeitig besteht eine hohe Dispersion, was die Fähigkeiten der einzelnen Ana- lysten angeht, sodass es darauf ankommt, auf die „Richtigen“ zu hören. Aus diesem Grund » Analystenempfehlungen sind profitabler als bisher angenommen. « Vitor Azevedo, Postdoctoral Researcher, Technische Universität München Profis eher auf dem Rückzug In den letzten Jahren ging die Anzahl professioneller Analysten leicht zurück. Als aktiv wurden Analysten gezählt, für die im jeweiligen Jahr in der I/B/E/S-Datenbank mindestens eine Empfehlung hinterlegt ist. Im Jahr 2019 wurden nur die ersten drei Quar- tale berücksichtigt. Quelle: Claussen, J. / Litterscheidt, R. / Streich, D. J. (2020), Seeking Analyst Coverage: Steering User-Generated Content Using Monetary Incentives, S. 34 0 1.000 2.000 3.000 4.000 5.000 2019 2015 2010 2005 2000 Anzahl aktiver professioneller Analysten Anzahl laut I/B/E/S 138 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | ANA LY S T ENEMP F EHLUNGEN FOTO : © T ECHN I SCHE UN I V E R S I T Ä T MÜNCHEN

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