Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

Foresee“ geht der Autor auf die Frage ein, wieso es für den Großteil der Anleger und Investoren de facto unmöglich ist, korrekte Prognosen zur Marktentwicklung zu treffen. Er postuliert eine „Symmetry of Delusions“, also frei übersetzt eine „Symmetrie der Verblendung“, die er als „einen Zustand persistent unangebrachten Selbstvertrauens“ definiert, das sich gleichmäßig durch alle gesellschaftlichen Schichten und sozialen Gruppen zieht. Das führt dazu, dass manche Scheintrends als echte Trends wahrgenom- men werden, was aber „erst post factum klar wird. Black Swan Events basieren auf nichts anderem als dieser Symmetrie der Verblendung.“ Um regelmäßig auftretende Scheinrealitäten in Gestalt von falschen Markteinschätzungen zu vermeiden, können Investoren beginnen, nach möglichst vielen Informationen zu suchen, oder einen pro- fessionellen Manager anheuern. „Beides hat seine Vor- und Nachteile“, führt Milovidov aus: „Informationen können irreführend, nicht verfügbar oder schlicht teuer sein. Bei der Inanspruchnahme eines Managers ent- stehen ebenfalls Kosten, es kann zu Interes- senkonflikten, Missmanagement oder gar Betrug kommen.“ Robin Hood und Co. Robo-Advisors, Informationsflüsse durch soziale Netzwerke oder auch Trading- plattformen mit entsprechenden Analy- setools scheinen die Defizite der priva- ten Informationsbeschaffung einzu- schränken, was wiederum zum eingangs beschriebenen und grafisch dargestellten Anstieg der Privatanleger in den Märk- ten geführt hat. Damit nimmt aber auch die Verblendungsgefahr zu, was wiede- rum die steigende Beliebtheit von risiko- behafteten Begriffen wie Momentum Trading oder technologielastigen Termi- ni wie Algo Trading erklärt. In diesem Zusammenhang wären die Geschehnisse rund um Gamestop ein Lehrbeispiel dafür, wie die „Symmetrie der Verblen- dung“ funktioniert und über den Einsatz von digitalen Technologien beschleunigt wird. Milovidov geht deshalb von einer Selbstverstärkung von Marktunsicher- heiten aus. Sieht man sich die Top-4-Be- griffe aus der Tabelle „Digitalisierung und Risiko“ an, so spiegelt das laut dem Autor die Zunahme an Investoren wider, die „nicht so sehr auf Expertise abzielen, sondern vielmehr auf Technologie, Arbi- trage oder das Verhalten anderer Trader. Hiebei handelt es sich um kurzfristiges und spekulatives Agieren, was auf neue Risiken für das gesamte Finanzsystem hindeuten könnte.“ Demokratisierungseffekte Doch was, wenn anekdotische Ereignisse wie Gamestop weitere symmetrische Ver- blendungen auslösen – beispielsweise dass der Eintritt in den Markt für Privatanleger zu risikoreich ist? Genau einem solchen Schluss scheinen Michael Reher von der University of California und Stanislav Sokolinski in ihrem Paper „Does FinTech Democratize Investing?“ zu widersprechen. Im Rahmen der im Juli 2020 erschienenen Studie untersuchen sie die Auswirkungen, die eine verstärkte Marktteilnahme von Pri- vaten auf deren Haushaltseinkommen hat. Als „Grundlage dieses natürlichen Experi- ments dient die unerwartete Reduzierung der Mindesteinlage von 5.000 auf 500 US- Dollar, die der Robo-Advisor Wealthfront im Jahr 2015 vorgenommen hat“, schildert Reher. Den Autoren eröffnet sich auf diese Weise ein sehr exakter Vergleichszeitraum. Sie berechnen das Einkommen von inves- tierenden Haushalten sieben Monate vor und sieben Monate nach der Reduzierung des Einstiegsbetrags und kommen zu dem Schluss, dass der erleichterte Zugang zum Kapitalmarkt dazu führt, dass Haushalte aus dem mittleren Wohlstandsquintil „mit ihrem Markteintritt einen 24-prozentigen Anstieg der Investitionen in riskante Vermögenswer- te“ – vulgo Aktien – „verzeichneten und im Vergleich zu den Haushalten im darüber liegenden Einkommenssegment einen bis zu 1,9-prozentigen Anstieg ihres Ver- mögensertrags lukrieren konnten“, da das Senken der finanziellen Einschrän- kung nur den mittleren Einkommen zu- gute kam. Höhere Einkommensschich- ten unterlagen der Restriktion vor der Senkung nicht. Auf ihre Entscheidung, in den Markt einzusteigen oder ihm fernzubleiben, hatte diese „Demokrati- sierung“ also keine Auswirkung, folglich kam es zu keiner Änderung der Ver- mögenserträge. Gesellschaftlicher Ausgleich Das bedeutet, dass die Kluft zwischen den hohen und mittleren Einkommens- schichten sinkt – was wiederum eine stabilisierende gesamtwirtschaftliche Wirkung hat. Auch aus reiner Marktsicht könnte das Nützen erleichterter digitaler Marktzugänge positiv sein, weil sich die Liquidität insgesamt erhöhen sollte – nicht zuletzt ein Kernanliegen institutio- neller Investoren. HANS WEITMAYR » Mittlere Einkommen erzielten im Vergleich zum darüber liegenden Einkommenssegment einen bis zu 1,9-prozentigen Anstieg ihres Ertrags. « Michael Reher, University of California San Diego, Rady School of Management Digitalisierung und Risiko gesucht Wie sich die Erwähnung von Strategien in der Literatur seit 1990 verändert hat. Investmentstrategie Faktor Algo Trading >1.000 Momentum Trading 85 Pairs Trading 53 Copy Trading 6 Kurs zu Cashflow 5 Kurs zu Umsatz 2 Buy and Hold 2 Value Trading 1,5 Contrarian 1,5 KGV 1,3 Kurs zu Buchwert 1 Stockpicking –20 % Markttiming –40 % Leerverkäufe –50 % Begriffe, die automatisiertes oder spekulatives Trading beschreiben, sind im Extremfall 2020 mehr als 1.000-mal so oft genannt worden, wie es vor 30 Jahren der Fall war. Quelle: Studie 118 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | BEHAV I OR

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