Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

schen Kontext und erhebt die Häufigkeit, mit der die Adjektive „bullish“ und „bea- rish“ seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vorkommen. Dass seit dem frühen 20. Jahr- hundert die relative Nennung von „bullish“ die von „bearish“ durchgehend übertrifft, wertet er als Beweis für 100 Jahre mehr oder weniger positives Marktsentiment. In der jüngeren Vergangenheit geht der Anteil der beiden Begriffe an der Gesamtheit der verwendeten Wörter zwar merklich zurück, an der Reihenfolge der beiden Termini und dem zwischen ihnen bestehenden Respekt- abstand hat sich aber nichts geändert. Wachstum gesucht Mit den Boomjahren der 1990er ortet Milovidov eine Wachablöse bei der Nen- nung der Bewertungsmethoden und den damit verbundenen Faktoreinsätzen: Er ver- gleicht die Verhältniskennzahlen Kurs zu Gewinn, Kurs zu Buch, Kurs zu Umsatz und Kurs zu Cashflow. Es zeigt sich, dass die klassische Valuekennzahl Kurs zu Buch in den vergangenen zehn Jahren einen veri- tablen Absturz erfahren hat (siehe Grafik „Was die Nachkriegszeit und die Digitali- sierung verbindet“) . Ähnlich verhält es sich mit dem KGV, dessen Prognosekraft für künftige Kursentwicklungen zuletzt immer stärker in Frage gestellt wurde. Eine Renaissance erlebt hingegen Kurs zu Umsatz. Interessant und vielleicht nicht hinlänglich bekannt ist, dass diese Kennzahl in den Nachkriegsjahren des 20. Jahrhun- derts eine der beliebtesten war – laut Milo- vidov rund um 1950 sogar die beliebteste. „Dieses spannende Faktum streicht die Eigenheiten der militärischen Aspekte als auch die Nachkriegseigenheiten heraus, als der gegenwärtige Gewinn nicht so entschei- dend für den Investmentprozess war. Viel- mehr ging es um das akkumulierte Ver- mögen und das Potenzial, die Umsätze zu erhöhen.“ Das ist im Kontext des Wieder- aufbaus, des ökonomischen Nachholbedarfs und der Eroberung von gewaltigen Markt- lücken zu verstehen. Mit dem Aufkommen der Internet-Öko- nomie, den damit verbundenen Netzwerk- und Winner-takes-it-all-Effekten geht es – auf anderer Ebene – um die gleichen Ziele: Steigerung des Umsatzes und die möglichst rasche Eroberung von Märkten – ein Ansin- nen, dem ein guter Cashflow-Polster nicht abträglich ist, weshalb in den vergangenen Jahren auch die Nennung des Kurs-Cash- flow-Verhältnisses zugenommen hat. Die Frage, der Milovidov jedoch nicht nachgeht, lautet, warum die kumulierte relative Nennung aller vier Kennzahlen zuletzt rückläufig war. Selbst die Kurs-Um- satz-Kennzahl dürfte den Höhepunkt ihrer Beliebtheit überschritten haben; die ent- sprechende Kurve hat sich zuletzt deutlich abgeflacht. Neue Kennzahlen Die Erklärung dafür dürfte in den weiter- gedachten Effekten der Netzwerkökonomie stecken, weshalb Kennzahlen an Bedeutung gewonnen haben, die die Eigenheiten dieses neuen Wirtschaftssystems besser erfassen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um das Verhältnis von Kurs zu immateriellen Vermögenswerten (Anm.: Intangibles). In Letztere fließen der Markenwert, aber auch die Investments in Forschung und Entwick- lung ein, wie das CFA bereits im Jahr 2017 mit der Publikation des Papers „Time to Change your Investment Model“ festgestellt hat. Laut dieser Studie – Institutional Money hat in der Ausgabe 4/2017 berichtet – hat das Verhältnis von Kurs zu Intangibles den kometenhaften Aufstieg von Amazon vorhergesagt, da der Konzern kontinuierlich enorm in Forschung und Investments in neue Geschäftsmodelle allokiert hatte. Das hat das KGV in Mitleidenschaft gezogen, weswegen CEO Bezos von der Mehrzahl der Analysten kritisiert worden war. Wie wir heute wissen, war das KGV in diesem Fall aber nicht nur wenig aussagekräftig, sondern ein Konterindikator für den mittel- und langfristigen Erfolg des Konzerns. Risiken à la Gamestop Insgesamt ortet Milovidov ein steigendes Interesse an Finanzbegriffen, die entweder auf eine höhere Digitalisierung oder ag- gressivere und riskantere Anlagestrategien hindeuten (siehe Grafik „Digitalisierung und Risiko gesucht“) – ein Umstand, der sich aus seiner Sicht gut behavioristisch erklären lässt. In einer schon 2018 erschie- nenen Arbeit „Hearing the Sound of the Wave: What Impedes One’s Ability to » Es handelt sich um kurzfristiges und spekulati- ves Agieren, was ein Hinweis auf neue Risiken für das gesamte Finanzsystem sein könnte. « Vladimir Milovidov, Moscow State Institute of International Relations Was Nachkriegszeit und Digitalisierung verbindet In beiden Perioden nahm die Popularität von wachstumsorientierten Kennzahlen zu. Während Kennzahlen, die eine Analyse des Wachstums ermöglichen, in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen haben, ist das Interesse an Value-Kennzahlen zurückgegangen. Quelle: Studie 0,000000 % 0,000002 % 0,000004 % 0,000006 % 0,000008 % 0,000010 % 0,000012 % 0,000014 % 0,000016 % 0,000018 % Prozentsatz an Wörtern KGV Kurs zu Buch Kurs zu Cashflow Kurs zu Umsatz 2000 1980 2019 1960 1940 1920 116 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | BEHAV I OR

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