Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

D ie Gamestop-Saga kann man nicht zuletzt als Zeitraffer- exempel für ein veritables Boom-and-Bust-Szenario verstehen. Erst im September 2019 postete Keith Gill einen sogenannten YOLO (You Only Live Once) Trade, der eine Kauforder über gerade einmal 53.000 US-Dollar für Papiere der darniederliegenden Video- und Computerspielkette Gamestop aus- wies. Mit Hinweis auf DFV (Deep F*** Value) und einer Serie an unge- wöhnlich langen Videos, in denen er das Unternehmen auf unterhaltsame, bodenständige Art und Weise analysier- te, pushte er die Aktie. Seine Kernthese lautete, dass das Unternehmen hoff- nungslos unterbewertet sei und sich die Hedgefonds – allen voran Melvin Capi- tal –, die deutliche Leerverkaufspositionen auf das Unternehmen abgeschlossen hatten, kapital verkalkuliert hätten. Er streute seine Einschätzung über diverse Plattformen, wobei sich Reddit als effizienteste heraus- stellen sollte. Denn in dieser Community schloss man sich scharenweise dem YOLO-Deal an und trieb die Aktie in ungeahnte Höhen. Massive Verluste Der daraus resultierende Squeeze führte – am prominentesten – beim Hedgefonds Melvin Capital zu ge- waltigen Verlusten. Laut Medien- berichten brachen Melvins Assets von 12,5 Milliarden Dollar per Ende Januar um 53 Prozent ein. Nur durch eine Kapitalspritze von 2,75 Milliarden Dollar, mit der die Hedgefonds Point72 und Citadel ihren Partner vor dem Zusammen- bruch retteten, konnte Melvin Ca- pital den Januar mit einem Vermö- gen von mehr als acht Milliarden Dollar abschließen. Letzten Endes kam es im Rahmen der Gamestop-Turbulenzen zu Handelseinschränkungen auf diversen Platt- formen – beispielsweise auf Robin Hood, über die ein Großteil der Community-Deals abgeschlossen wurden. Auch im deutsch- sprachigen Raum schloss man sich dieser Herangehensweise an. So setzte der Broker IG den Handel zeitweise aus, um laut Eigenaussage die Interessen der Bestands- kunden zu schützen. Im Februar folgten schließlich Anhörungen vor dem Kongress, auch die US-Börsenaufsicht SEC hat zu Redaktionsschluss geprüft. Die Gamestop- Aktie selbst hat seit ihrem Rausch im Janu- ar zwar rund zwei Drittel an Wert verloren, war aber zu Redaktionsschluss immer noch 33-mal so viel wert wie zwölf Monate davor. Bemerkenswert ist, wie sich die Dynamik des Marktgeschehens durch das gegenseiti- ge Hochschaukeln von neuartigen Trading- plattformen und multimedialen sozialen Netzwerken entwickelt hat. Dazu kamen relativ neuartige digitale Werkzeuge wie et- wa der – zu Redaktionsschluss noch unbe- wiesene, aber wahrscheinliche – Einsatz von Chatbots, die automatisiert und massen- haft Meinung machen – ein Spiel also nach völlig neuen Regeln, mit dem sich die Frage stellt, ob es das schon war: eine Episode wie die berühmt berüchtigte Tulpenmanie, nur eben im Zeitraffer? Oder aber ein neues technisch-soziales Para- digma, das die Märkte auf eine Periode erhöhter Marktunsicherheit zusteuern lässt und bei dem der Zustrom schlecht informierter Marktteilnehmer die Turbulenzen nur noch weiter verstärkt. Bleibende Trends Ein erster Blick auf die Statisti- ken zum Verhalten privater Anle- ger lässt Zweiteres vermuten. Denn mit dem Aufkommen besag- Sind Fintechs die großen Demokratisierer oder die großen Blender der Märkte? Anlässlich der jüngsten Ereignisse rund um die Gamingstore-Kette Gamestop stellt sich diese Frage mit erneuter Vehemenz. Privatanleger stürmen den Markt Im Vergleich zu 2018 haben sich private Trades verdreifacht. Neue Technologien und soziale Netzwerke erleichtern Privatanlegern zum ersten den Markteintritt und ermöglichen darüber hinaus einen schnelleren Informationszugang und -austausch. Quelle: Seeking Alpha -80 % -40 % 0 % 40 % 80 % 120 % 160 % 200 % 240 % Veränderung private Trades Dotcom-Boom Jahresvergleich 2015 2010 2005 2000 2020 1995 » Erzählstränge können sowohl das Marktsentiment als auch das Verhalten der Investoren beeinflussen. « Vladimir Milovidov, Moscow State Institute of International Relations, Head of the International Finance Department Die Symmetrie der Verblendung 114 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | BEHAV I OR FOTO : © MOSCOW S TAT E I NS T I T U T E OF I NT E RNAT I ONA L R E L AT I ONS, R I CHA RD CA R E Y | S TOCK . ADOB E . COM

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