Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

60 Prozent des BIP 1992 Sinn ergeben hätte, so ist das in der gegenwärtigen Lage definitiv nicht mehr der Fall. Eine viel höhe- re Grenze wäre stattdessen angebracht.“ Auf den dritten Blick nachhaltig Diese These untermauern sie jedoch nicht mit einem Vergleich der Schulden per se, sondern eben mit den jährlichen Kosten für den Schuldendienst beziehungsweise die Zinsen. So hätte 1992 ein Land mit einer 60-prozentigen Schuldenquote beim Zinsniveau von 1992 rund fünf Prozent seines Jahres-BIP für Zinszah- lungen ausgeben müssen. Heute wendet Japan mit einer nahezu dreimal so hohen Schuldenrate 0,2 Prozent seines BIP für diesen Schuldendienst auf. Rechnet man nun die Trends für Deutschland durch, scheinen sich die US-Thesen auch hier zu bestätigen – wobei gerade die grafische Darstellung die Thesen von Summers und Furman verblüffend eindrücklich unterstreicht (siehe Grafik „Wenn mehr weniger ist“) . Denn während sich der viel zitierte Schuldenberg in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdrei- facht hat, ist die Last, die die Zinszahlungen auf die Volkswirtschaft ausüben, in den ver- gangenen 25 Jahren um 20 Prozent zurück- gegangen. Während also die herkömmliche auf das BIP bezogene Schuldenquote von Jahr zu Jahr gestiegen ist, ist die nominale Zinsbelastungsquote von 1,1 Prozent zu Maastricht-Zeiten auf gerade einmal 0,35 Prozent des BIP zurückgegangen. Auch das Verhältnis zu den Staatsausga- ben weist darauf hin, dass der deutsche Schuldenberg in Wirklichkeit nur einen Hügel darstellen könnte. Denn während der Schuldendienst zu Beginn der 1990er-Jahre rund drei Prozent der Staatsausgaben ausgemacht hat, waren es 2019 nur noch 0,8 Prozent. Den Schulden entwachsen Tatsächlich ist es aus Sicht der Auto- ren so, dass die Staatsverschuldung so lange überhaupt keine Rolle spielt, so- lange die Zinsenquote unterhalb der BIP-Wachstumsrate liegt. „In einem sol- chen Szenario entwächst eine Volkswirt- schaft ihren Schulden“, so Furman. Und dieses Szenario tritt öfter ein, als man auf den ersten Blick glauben möchte: „In den USA und den meisten wichtigen Volkswirtschaften war das seit 1871 in zwei Drittel der Jahre der Fall.“ Die Autoren sprechen sich vor diesem Hintergrund dafür aus, sich zwar nicht end- los, aber doch couragiert zu verschulden und die aufgenommenen Gelder sinnvoll zu in- vestieren. Als Obergrenze schlagen sie bei der realen Zinsdienst-zu-BIP-Quote einen Wert von bis zu zwei Prozent vor. Summers und Furman rechnen im Vergleich dazu die gegenwärtigen generellen Zinszahlungen des Staates durch und kommen so für die USA auf eine Quote von rund einem Prozent – al- so rund die Hälfte dessen, was die Autoren für machbar halten. „Aus unserer Sicht un- tergräbt die geringer als möglich ausfallende Verschuldung die Nachhaltigkeit des Bud- gets“, so Furman. Das scheinbare Paradoxon klären sie, wie bereits angedeutet, auf, in- dem sie die „ungenutzten Kapazitäten“ ins Feld führen. Dadurch würde die Wirtschaft den Schulden – und vor allem Zinszahlun- gen – weniger stark und rasch entwachsen, als es möglich wäre. Auch die Möglichkeit von fairen Steuerentlastungen wären einge- schränkt. Apropos Steuer: Auch zu diesen nehmen die Autoren Stellung. Sie sprechen sich bemerkenswerterweise für ein „progres- siveres System“ aus, was nichts weiter ist als ein Code für „Reichensteuer“. Doch zurück zur Verschuldung: Zu Ver- gleichszwecken führen die Autoren auch das Verhältnis von realen Zinszahlungen zum BIP der anderen G7-Staaten an. Auch hier zeigt sich, dass Länder wie Deutschland, Großbritannien oder Frankreich bei der Staatsverschuldung noch einigen Spielraum hätten (siehe Grafik „Deutliches Potenzial bei der Verschuldung“) – und somit mögli- cherweise stimulatorisches Potenzial liegen lassen. Alles in allem bringen die Autoren interessante und provokante Thesen vor. Die Voraussetzung dafür, dass sie auch funktio- nieren: Die Zinsen bleiben trotz allfälligen Inflationsdrucks niedrig. HANS WEITMAYR Deutliches Potenzial bei der Verschuldung Reale Zinszahlungen in Prozent des BIP, G7-Staaten Einen Prozentsatz von 2,0 Prozent, den die realen Zinsen am BIP ausmachen, halten Summers und Furman in Industrie- nationen für tragfähig. Bis auf Italien verfügen die angeführten Länder also über Spielraum. Quelle: Studie -2 % 0 % 2 % 4 % 6 % 2020 I I I I 2015 I I I I 2010 I I I I 2005 I I I I 2000 I I I I 1995 I I I I 1990 I I I I 1985 Reale Zinszahlungen in Prozent des BIP Italien USA Deutschland Kanada Japan Frankreich Großbritannien » Solange die Zinsbelastung unter dem BIP-Wachstum liegt, entwächst ein Land seinen Schulden. « Jason Furman, Mitglied des Council of Economic Advisers im Kabinett Clinton, Direktor des Council of Economic Advisers im Kabinett Obama, derzeit u. a. Harvard Kennedy School 112 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | S TAGNAT I ON FOTO : © HA R VA RD K ENNEDY SCHOOL

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