Institutional Money, Ausgabe 1 | 2021

den Versprechen und Risiken des europäi- schen Projekts verbunden“, wie Schwedel erklärt. So habe die „Euro-Einführung die Friktionskosten von grenzüberschreitenden Kapitalströmen drastisch reduziert und so zu einer Bewegung vom kapitalreichen Kern hin in die kapitalhungrige Peripherie geführt“. Für die Kernländer kam die Ein- führung des Euro einer externen Abwertung mit entsprechenden Vorteilen für die Ex- portwirtschaft gleich, für die Peripherielän- der einer Kapitalspritze. Dementsprechend konnten europäische Unternehmen in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts zum ersten und einzigen Mal die Profitabilität der US-Amerikaner deutlich übertreffen. Wie die Geschichte ausging und in die Eurokrise mündete, ist bekannt – das Resul- tat war eine Wiederherstellung der alten Ordnung im darauf folgenden Jahrzehnt. Deutschland „auskömmlich“ Immerhin: Deutschland mit seiner Stärke in Industrie und Technologie steht zumin- dest im europäischen Vergleich recht gut da. Das verarbeitende Gewerbe erzielte zwi- schen 2010 und 2018 mit 15,5 Prozent Eigenkapitalrendite überdurchschnittlich gu- te Ergebnisse. Der Tech-Sektor lag mit 26,4 Prozent sogar um ein Drittel über dem europäischen Branchenmittel. „Trotz des schwieriger werdenden Um- felds können Unternehmen auskömmliche Margen erwirtschaften“, zeigt sich Bain- Experte Sinn überzeugt. Denn ein Großteil der Profitabilitätsunterschiede lasse sich auf individuelle Gegebenheiten in einer Fir- ma oder Branche zurückführen. Dage- gen könne das Management angehen, zum Beispiel Wettbewerbsvorteile her- ausarbeiten oder das Geschäft ausbauen, sei es organisch oder anorganisch. Leben mit und nach Covid In einer Rezession einfach nur die Kosten zu senken führt Sinn zufolge jedenfalls nicht zum Erfolg. Demnach ist der dauerhaften Stabilisierung des Unternehmens in turbulenten Zeiten mehr Bedeutung einzuräumen als Quar- talszahlen: „Firmenlenker brauchen eine Langfriststrategie, in der die nachhaltig profitable Entwicklung des Unterneh- mens und dessen Nutzen für die Gesell- schaft im Vordergrund stehen. Und die muss die Investoren überzeugen.“ Leicht wird das aus europäischer Sicht nicht. Denn Europa verfügt nur über eine sehr geringe Zahl an „sehr großen, sehr profitablen Unternehmen“, meint Schwedel. Vergleiche man die Marktkapitalisierung der Technolo- giegiganten, kann allenfalls noch SAP – un- ter Einhaltung eines deutlichen Respektab- stands – mit Unternehmen wie Microsoft, Amazon oder Alphabet aus den USA, Ten- cent, Alibaba aus China oder Samsung aus Korea mithalten. Das mildert zwar den ge- sellschaftlichen Disput rund um soziale Un- gleichgewichte, wie er derzeit in den USA grassiert, „kann aber Europas Wettbewerbs- fähigkeit weiter einschränken“, so Schwe- del, der warnt: „Schafft es Europa nicht, ein skalierendes Ökosystem auf die Beine zu stellen, wie man es eben in China oder den USA vorfindet, könnte der Kontinent die kommende Welle an Veränderung, was Pro- duktivität, Unternehmensgewinne und Le- bensstandard betrifft, verpassen.“ Doch auch für die USA ist nicht alles eitel Wonne. Die Dominanz großer Unterneh- men, das damit einhergehende soziale Un- gleichgewicht und die zunehmende Kapital- konzentration könnten dazu führen, dass sich die laut Schwedel „für die Unterneh- men sehr günstigen soziopolitischen Rah- menbedingungen ändern“. Eine inzwischen sinkende Lebenserwartung und eine gerade einmal achtprozentige Chance, von den un- tersten 25 Prozent der Einkommensschicht in die obersten 25 Prozent aufzusteigen, las- sen die Realität des „American Dream“ recht vage aussehen und könnten zu restrik- tiveren regulatorischen Vorgaben führen. Schlussendlich sind auch die Aussichten für Asiens marktwirtschaftlich geführte Ökonomien ambivalent. Zwar hat Japan nach einem langen Tal der Tränen durch diverse Strukturreformen ein Stück Dyna- mik zurückgewonnen, die demografische Falle könnte diese Fortschritte aber zunichte machen. Den Tigerstaaten droht wiederum aufgrund rückschrittlicher Globalisierungs- tendenzen und des schwelenden Handels- kriegs Ungemach – was die These von einem globalen Ende des Goldenen Profitabilitäts- zeitalters zu untermauern scheint. HANS WEITMAYR Am besten gehalten? Die Brexit-Briten Salz in die offenen Wunden der Europäischen Union: Großbritannien konnte seine Profitabilität zuletzt am stärksten verteidigen. Für Europa drängt sich der Verdacht auf, dass das Zeitalter stetig steigender Profitabilität bereits zu einem Ende gekommen ist, wobei sich die Briten im letzten Beobachtungszeitraum noch am besten gehalten haben. Quelle: Studie 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % Italien Spanien Frankreich Deutschland UK 1983–89 1993–00 2003–07 2010–18 ROE für gelistete Unternehmen » Europa könnte die kommende Welle an Verän- derung, was Produktivität, Unternehmensgewinne und Lebensstandard betrifft, verpassen. « Andrew Schwedel, Leiter Macro Trends Group Bain & Company 106 N o. 1/2021 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | PROF I TAB I L I T Ä T

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