Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

schaft zur Kooperation steigern. Wegen der reziproken Natur von Vertrauen entscheidet dieses über die Vertrauenswürdigkeit des Einzelnen, will heißen: Personen, die sich gegenseitig mehr vertrauen, verhalten sich selbst vertrauenswürdiger. Spezialfall Finanzindustrie Das Niveau des allgemeinen Vertrauens ist besonders wichtig im Fall der Finanzin- dustrie, da Finanzprodukte – und hier spe- ziell die strukturierten – zunehmend kom- plexer geworden sind, schreiben Ghent, Torous und Valkanov 2019 in „Complexity in Structured Finance“. Interessenkonflikte sind an der Tagesordnung. Dazu kommt, dass die Finanzindustrie Dienstleistungen anbietet, die zwar die meisten Leute benö- tigen, aber nur wenige verstehen. Des Wei- teren ist das Ausmaß der Informationsasym- metrie zwischen den Professionals der Fi- nanzindustrie und ihren Klienten höher als in den meisten anderen Branchen. Kunden sind über Finanzprodukte schlecht infor- miert und finden es schwierig abzuschätzen, welches Produkt am besten zu ihren Be- dürfnissen passt. Das vergrößert ihre Ab- hängigkeit von Finanzberatern und schafft potenzielle Interessenkonflikte. Zusammen- fassend gesagt: Komplexität und Informa- tionsasymmetrie, verbunden mit möglichen Interessenkonflikten, erfordern ein allgemei- nes Vertrauen, das besonders für Finanz- transaktionen entscheidend ist. Das ist vor dem Hintergrund einer fast 50 Jahre lang währenden Phase der Deregulierung der US-Finanzindustrie zu sehen, die die Rolle von Vertrauen noch wichtiger werden lässt. Sowohl theoretische als auch empirische Studien legen nahe, dass immer dann, wenn Regulierung und Governance weniger effi- zient oder etabliert sind, das allgemeine Ver- trauen wertvoller ist, weil Vertrauen von opportunistischem Verhalten abhält und als Ersatz für Regulierung dient. Somit ist es plausibel, dass ein gleichzeitiger Rückgang von allgemeinem Vertrauen und Regulie- rung zu nachteiligen Ergebnissen sowohl für den einzelnen Konsumenten als auch die Gesellschaft als Ganzes führt. Allgemeines Vertrauen ist ein impliziter Mechanismus, der das Verhalten von Finanzprofis steuert und als Schutz vor Finanzbetrug fungiert. Es ist daher fundamental wichtig, zu analy- sieren, wie Vertrauen und andere Formen ethischen Verhaltens sich in der Finanzin- dustrie ausbilden. Gretchenfrage In der vorliegenden Arbeit untersuchen die drei Autoren Trends bezüglich des all- gemeinen Vertrauens von Arbeitnehmern in der Finanzindustrie im Verhältnis zur allge- meinen US-amerikanischen Bevölkerung aus der repräsentativen GSS-Befragung. Die gesamte Stichprobe umfasst 39 Jahre und analysiert die Antworten von zirka 1.500 Befragten pro Umfrage im Zeitraum von 1978 bis 1993 sowie von 2.800 Ant- wortenden von 1994 bis 2016 auf die fol- Das Vertrauen in der Finanzindustrie geht schon lange zurück. Eigentlich ist schon seit den 80er-Jahren ein solcher Vertrauensrückgang zu beobachten, der sich nach der Jahrtausendwende verstärkt fortsetzte. Auch außerhalb der Finanzindustrie gibt es einen Rückgang des allgemeinen Vertrauens, dieser ist jedoch schwächer ausgeprägt. N o. 4/2020 | www.institutional-money.com 97 T H E O R I E & P R A X I S | VE R T RAUEN I N D I E F I NANZ I NDUS T R I E

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