Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

D er Finanzsektor spielt in jeder Volkswirtschaft eine Schlüs- selrolle. Ein besser entwickel- tes Finanzsystem geht mit ei- nem stärkeren Wirtschaftswachstum einher, führt zu mehr unternehmerischen Aktivitä- ten, treibt technologische Innovation voran und verringert auf diese Weise Armut bezie- hungsweise hebt den Wohlstand. Damit ein Finanzsystem funktionieren kann, benötigt man allerdings mehrere Faktoren, wobei das Vertrauen in Verträge und Vertrags- parteien zu den fundamentalsten Voraus- setzungen zählt. Diese Vertrauenswür- digkeit kann durch explizite Mechanis- men sichergestellt werden, im Besonde- ren durch Regulierung seitens des Ge- setzgebers, aber auch durch implizite Anreize wie soziale Normen, die in einer Gesellschaft beziehungsweise in einer Gesellschaftsschicht vorherrschen („My word is my bond“). Die Entwicklung solcher sozialer Normen, beispielsweise des gesellschaftlichen Vertrauens, bei Finanzex- perten zu verstehen, ist daher nicht nur für Finanzinstitutionen und deren Kunden rele- vant, sondern auch für Regulatoren und Ge- setzgeber. Als gesellschaftliches oder allge- meines Vertrauen (englisch „Generalized Trust“) bezeichnet man das Vertrauen in andere Mitglieder einer Gesellschaft; es wird von zwischenmenschlichem Vertrauen unter- schieden, das dem Vertrauen in die Familie oder enge Freunde entspricht. GSS-Daten helfen weiter Trotz des Verlusts von gesellschaftlichem Vertrauen in der amerikanischen Gesell- schaft, über den der US-Politologe Robert David Putnam schon im Jahr 2000 schrieb, ist wenig über die Entwicklung des gesell- schaftlichen Vertrauens von Finanzexperten bekannt. Nun wäre es interessant zu wissen, wie sich das Vertrauen der Personen, die in der Finanzindustrie arbeiten, in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Zu diesem Zweck beschäftigen sich Peter Limbach, CFR-Juniorprofessor für das Fach „Invest- ments“ an der Universität zu Köln, P. Rahavendra Rau, Professor of Finance an der Cambridge Judge Business School, und Henrik Schürmann, Doktorand am Lehr- stuhl für Finanzwirtschaft und Corporate Governance der Bergischen Universität Wuppertal, damit, wie sich das allgemeine Vertrauen in der US-amerikanischen Fi- nanzindustrie in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Dabei verwenden sie Daten einer repräsentativen US-Umfrage, des „US General Social Survey“ (GSS), über den Zeitraum von 1978 bis 2016. Diese Daten erfassen nicht nur das allgemeine Vertrauen der Umfrageteilnehmer, sondern auch deren demografische und sozioökonomische Eigenschaften. Dadurch wird es den Auto- ren möglich, die Ergebnisse der Vertrauens- entwicklung im Hinblick auf die demogra- fischen und sozioökonomischen Eigen- schaften der Befragten zu kontrollieren und deren berufliche und soziale Tätigkeiten zu messen. Damit gelingt es, speziell die Ent- wicklung des Vertrauens in der Finanzin- dustrie zu ermitteln und zu vergleichen. Erstens können Limbach, Rau und Schür- mann zeigen, dass das allgemeine Vertrauen der Arbeitnehmer in der Finanzindustrie seit 40 Jahren substanziell rückläufig ist, und zwar nicht nur absolut, sondern auch relativ in Bezug zur amerikanischen Gesamtbevöl- kerung. Dieser relativ starke Vertrauens- rückgang in der Finanzindustrie ist einzig- artig. Zweitens stellt sich heraus, dass der relative Rückgang des Vertrauens auch bei Führungspersonen auftritt, die ja den Ton in ihren Unternehmen angeben, sowie im In- vestmentsektor. Drittens finden sich Hin- weise darauf, dass Änderungen der wirt- schaftlichen Gegebenheiten und des berufli- chen Umfelds sowie das Ausmaß der Sozia- lisierung möglicherweise den signifikanten Vertrauensverlust unter den Professionals in der Finanzindustrie erklären können. Drei wichtige Erkenntnisse Warum ist das Ausmaß des allgemeinen Vertrauens in der Finanzindustrie von Be- deutung? Der US-Ökonom Kenneth Arrow schrieb 1972, dass in jeder kommerziellen Transaktion ein Vertrauenselement enthalten sei. Der dänische Politologe Peter Nanne- stad und Kenneth Newton meinten unab- hängig voneinander, dass allgemeines Ver- trauen ausschlaggebend für die Interaktion von Fremden ist. Volkswirte argumentieren, dass das Vertrauen und andere Formen des Sozialkapitals wirtschaftliche Aktivitäten erleichtern würden, da sie von opportunisti- schem Verhalten abhalten und die Bereit- Vertrauen ist auch in der Finanzindustrie eine fundamentale Geschäftsgrundlage. Eine Studie zeigt, dass es damit schon seit Langem tendenziell bergab geht. » Das allgemeine Vertrauen von Arbeit- nehmern in der US-Finanzindustrie sank in den letzten Dekaden signifikant. « Prof. Dr. Peter Limbach, CFR-Juniorprofessor für das Fach „Investments“, Universität Köln Schwindendes Vertrauen FOTO : © UN I KÖL N, DUR ANT E L A L L E R A | S TOCK . ADOB E . COM 96 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | VE R T RAUEN I N D I E F I NANZ I NDUS T R I E

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