Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

Clemens Fuest: Da die gesamtwirtschaftliche Nachfrage voraussichtlich schwach bleiben wird, dürfte auch die Inflation niedrig blei- ben. Zwar haben die Notenbanken in gro- ßem Umfang Geld in die Märkte gepumpt, aber die Investoren halten große Geldbe- stände. So lange niedrige Inflation erwartet wird und Staatsanleihen genauso wie Geld- bestände Nullzinsen einbringen, kann diese Situation stabil sein. Kippen wird das nur, wenn der Glaube an die Geldwertstabilität verschwindet. Inflation könnte entstehen, wenn massiver Protektionismus zur Auflö- sung internationaler Wertschöpfungsketten und zu steigenden Produktionskosten bei wichtigen Gütergruppen führt. Aber das ist derzeit nicht in Sicht. Worauf basiert Ihre Einschätzung einer Kräfteverschiebung der Weltwirtschaft, bei der China der Gewinner, die USA mehr oder weniger „flat“ und die EU der Verlie- rer sein wird? Clemens Fuest: Die Gewichtsverschiebung in Richtung Asien ist ein längerfristiger Trend, der schon vor der Krise bestand. Er be- schleunigt sich, weil nach aktuellen Pro- gnosen die chinesische Wirtschaft schon in diesem Jahr wieder wachsen wird und die US-Wirtschaft ebenfalls besser durch die Krise kommt als Europa. Ein Freund des Green New Deal der EU- Kommission sind Sie nicht gerade. Wie kann es mit der Klimapolitik weitergehen? Clemens Fuest: Doch, ich bin überzeugt, dass die Grundidee des Green New Deal richtig ist. Wir müssen deutlich mehr für den Schutz von Klima und Umwelt tun als bis- her. Aber um diese große Herausforderung zu meistern und die damit verbundenen Chancen nutzen zu können, müssen wir staatliche Regulierungen und Marktmecha- nismen intelligent kombinieren. Derzeit geht mir vieles zu sehr in eine planwirt- schaftlich-bürokratische Richtung, es fehlt das überzeugende Gesamtkonzept. Ist die Taxonomie nicht zumindest so etwas wie ein erster Schritt zu ESG-Standards für alle, eine Art „Buchstabensuppe“ oder bes- ser gesagt „Register“, was sich Asset Ma- nager, aber auch Investoren wünschen? Clemens Fuest: Ich verstehe das Anliegen, dass Investoren besser darüber informiert sein wollen, was die Unternehmen tun, die sie finanzieren. Dass man auch längerfristi- ge Risiken einschließlich Klimarisiken in der Rechnungslegung und der Berichterstat- tung dokumentieren sollte, ist richtig. Ich habe nur Zweifel, ob die Taxonomie das sicherstellt. Das Problem der Taxonomie sehe ich darin, dass der Versuch, sämtliche Aktivitäten der Wirtschaft administrativ als nachhaltig oder nicht nachhaltig zu klassifi- zieren, zu mehr oder weniger willkürlichen und fragwürdigen Einordnungen führt. Da die Welt sich dauernd ändert und Innova- tionen stattfinden, muss man die Taxonomie eigentlich immer wieder ändern. Dazu sind die Entscheidungsprozesse zu langsam. Ganz schwierig wird es, wenn gefordert wird, Eigenkapitalanforderungen für als nachhaltig klassifizierte Investitionen zu senken. Dann erreicht man das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Was können institutionelle Investoren in der aktuellen Situation in Bezug auf ihre Anla- gestrategie tun? Clemens Fuest: Das aktuelle Umfeld ist zwei- fellos sehr schwierig, weil die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung sehr groß ist. Gleichzeitig sind die Zinsen extrem niedrig. Man sollte zum einen die eigenen Kosten senken und zum anderen intensiv über die Bedürfnisse von Kunden nachdenken, im Grunde wie in anderen Unternehmen auch. Wir danken für das Gespräch. HANS HEUSER » Das aktuelle Umfeld ist zweifellos sehr schwierig, weil die Unsicherheit über die künftige Wirtschaftsentwicklung sehr groß ist. « Prof. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts 44 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | C L EMENS FUE S T | I FO I NS T I TUT FOTO : © CHR I S TOP H HEMME R I CH

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