Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

BR I E F DER HERAUSGEBER 4 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com D ie wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind aktuell noch nicht abschätzbar, die Chancen, dass das Jahr 2021 einen „Stresstest“ für Banken bereithalten könnte, stehen aber gut. Sollten all zu viele Unter- nehmen die fortgesetzte Drosselung der Wirtschaft nicht überleben, kommen auch auf viele Kreditgeber harte Zeiten zu. Wie gefähr- lich die Situation tatsächlich ist, wissen wir allerdings nicht. Das ist insofern schade, als es heute Werkzeuge gäbe, die uns eine wesentlich bessere Übersicht der Lage liefern könnten. Wie diese aussehen, erklärt der Wiener Physiker und Komplexitätsforscher Stefan Thurner. In seinem Buch „Die Zerbrechlichkeit der Welt“ befasst er sich mit der Stabilität von Netzwerken. Denn das Finanzsystem ist vor allem einmal ein komple- xes Netzwerk. Wenn infolge eines Lockdowns weniger Umsatz gemacht wird, ist da- von ein Geflecht von Unter- nehmen betroffen – vom Her- steller bis zum Händler sowie all ihren Geschäftspartnern. Stets betroffen sind aber die Banken dieser Firmen. Sie sind mit jedem Glied dieses Netzwerks verbunden und bilden zudem untereinan- der ein Geflecht aus Gläubigern und Schuldnern. Aus diesem Grund hat die Stabilität des Bankensystems zu Recht höchste Prio- rität, und die Kreditinstitute werden streng beaufsichtigt. Glaubt man dem Leiter des Complexity Science Hub Vienna ist die tra- ditionelle Form der Bankenkontrolle aber überholt. Er schreibt:  „ Da das Finanzsystem eine zentrale Lebensader unserer Gesell- schaft darstellt, sollten wir uns mit seinem systematischen Kollaps- Risiko mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auseinanderset- zen. Interessanterweise findet das nicht in dem Ausmaß statt, das man sich im 21. Jahrhundert erwarten würde. Längst existieren die Daten und die technischen Möglichkeiten, das Finanzsystem in digitalen Modellen abzubilden, zu simulieren, zu analysieren und seine Schwachstellen systematisch zu identifizieren, um daraus die richtigen Maßnahmen zu seiner Verbesserung und gezielten Sta- bilisierung abzuleiten.“ Die Ignoranz, mit der nach wie vor nach- weislich untaugliche Kennzahlen und Modelle eingesetzt werden, ist nach Ansicht des Forschers schwer nachvollziehbar. Die junge Disziplin der sogenannten Complexity Economics hat laut Thurner in den letzten Jahren viel über Kollapsrisiken im Finanzsystem herausgefunden und auch Lösungen entwickelt, um das Problem zu verringern beziehungsweise auszuschalten. Thurner glaubt, dass man das Finanzsystem stabiler und resilienter gestalten könnte, als dies derzeit der Fall ist. Was man dazu benötigt, sind eine Abbildung und die Analyse des Netzwerks „Banken“. Eine hohe Dichte dieses Kreditnetzwerks habe Vor- und Nachteile. Der Vorteil besteht darin, dass ein engmaschiges System zur Finanzie- rung unternehmerischer und privater Vorhaben existiert. Der Preis, den man dafür bezahlt, ist ein ebenso dichtes Netzwerk aus Risi- ken, die im Bankensystem stecken. Thurner hat sich mit dem Pro- blem und seiner Lösung auch schon praktisch auseinandergesetzt: Gemeinsam mit Mexikos Zentralbank wurde nach systemischen Schwachstellen gesucht, um vorab den Schaden eines allfälligen Finanzcrashs zu berechnen. Bei der Beantwortung dieser Fragen zeigt sich, dass Mexiko Probleme bekäme, würde eine der großen Banken im Land zusammenbrechen. Bemerkenswerter sei aber die Beobachtung gewesen, dass man auch kleine Banken identifizieren konnte, deren Zusammenbruch das gesamte Finanzsystem in Tur- bulenzen versetzt hätte. Thurners Lösung sieht so aus, dass dieses Netzwerk aus Risiken und Abhängigkeiten mithilfe des Berichtswesens der Banken laufend abgebildet und auf potenzielle Bruchstellen ge- prüft wird. Er kann sich – zu- mindest theoretisch – sogar vorstellen, die Stabilität des Systems mithilfe einer „Risi- kosteuer“ zu erhöhen, indem für Transaktionen, die das Gesamtrisiko erhöhen, eine Abgabe zu zahlen ist, wäh- rend risikoneutrale Geschäfte steuerfrei bleiben. Im Idealfall würden sich die Risiken auf diese Weise gleichmäßig im System verteilen, zumindest wisse man aber besser als bisher, wo genau Schwachstellen existieren. Funktionieren könne dies aber nur bei internationaler, zumindest aber europäischer Kooperation. Es bleibt zu hoffen, dass die Kapi- talmarktwächter in den Notenbanken Thurners Buch zumindest lesen und ernsthaft prüfen, ob sein Weg gangbar ist. Wir hoffen, dass wir den Institutional Money Kongress 2021 wie geplant veranstalten können, und laden Sie auch diesmal herzlich ein, daran teilzunehmen . Stabilere Banken dank Big Data? Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi Gerhard Führing Mamdouh El-Morsi

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