Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

Investments kamen die etablierten Player nicht umhin, sich möglichst viele der frü- hen, kleinen Anbieter von ESG-Ratings ein- zuverleiben. So gingen in den letzten zehn Jahren KLD an MSCI, Sustainalytics an Morningstar, Vigeo Eiris an Moody’s und RobecoSAM an S&P Global. Besonderheiten bei ESG-Ratings Um ESG-Ratings zu ermitteln, werden verschiedene Nachhaltigkeitskriterien ge- screent. Deshalb wäre zu vermuten, dass die einzelnen Anbieter zu sehr ähnlichen Ein- schätzungen kommen, wie es bei den großen Ratingagenturen zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit der Fall ist. Bei dieser scheinbaren Parallele setzt die Studie „Aggregate Confusion: The Divergence of ESG Ratings“ an. Das Autorentrio Florian Berg, Julian Koelbel und Roberto Rigobon nennt zwei Besonderheiten, die dazu füh- ren, dass die Unterschiede zwischen ESG-Ratings viel größer sind als jene bei den Kreditratings: 1. Die Kreditwürdigkeit ist über die Ausfall- wahrscheinlichkeit recht klar definiert. Bei der Erfüllung von ESG-Kriterien ist das nicht der Fall, da diese wertebasiert sind und sich zudem noch entwickeln. Die ent- sprechenden Ratings beinhalten deshalb auch eine gewisse Interpretation des Anbie- ters darüber, was gute ESG-Performance ausmacht. 2. Die Berichtsstandards haben sich bei Fi- nanzkennzahlen über lange Zeit entwickelt und vereinheitlicht. Das ESG- Reporting steckt dagegen noch in den Kinderschuhen und ist in den seltensten Fäl- len verpflichtend. Das gibt den Unternehmen großen Spielraum, ob sie überhaupt reporten, und falls ja, was und in welcher Form. ESG-Ra- tings stellen deshalb auch die Dienstleistung dar, aggregierte Informationen aus einem brei- ten Spektrum von Quellen und Standards abzubilden. Die hohe Diskrepanz von ESG-Ratings ist in der Litera- tur gut dokumentiert. Und das hat auch Folgen für die Praxis. So wird etwa das Bestreben von Unternehmen gehemmt, ihre ESG-Integration zu verbessern, da sie gemischte Signale darüber erhalten, welche Dinge erwartet und vom Markt honoriert werden. Zudem ist die Diskrepanz eine Herausforderung für empirische Studien. So kann die Entscheidung für den einen oder anderen Datensatz dazu führen, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen sehr unterschiedlich ausfallen. Ursachen der Diskrepanz Für ein besseres Verständnis der Diskre- panz ist es notwendig, die genauen Ursachen der Abweichungen zu ermitteln. Das ist das Ziel der genannten Aggregate-Confusion- Studie. Die Autoren beschaffen die Ratings von sechs großen Anbietern, detaillierte Da- ten der jeweils zugrunde liegenden Kriterien und Indikatoren sowie die Dokumentation zu den Aggregationsregeln und Messver- fahren. Im Ergebnis der Untersuchungen zeigen sich letztlich drei Bereiche, in denen die Ursachen der hohen Diskrepanz liegen: 1. unterschiedliche Anwendungsbereiche: Die Ratings basieren auf verschiedenen Kategorien wie etwa CO 2 -Emissionen, Ar- beitsbedingungen oder Lobbyaktivitäten, die aber nicht einheitlich berücksichtigt werden. Zwei der untersuchten Anbieter be- ziehen zum Beispiel Lobbyaktivitäten mit ein, die vier anderen Anbieter jedoch nicht. 2. Verschiedene Messungen: Die gleichen Kategorien werden mit unterschiedlichen Indikatoren gemessen. Zum Beispiel bewer- tet ein Anbieter die Arbeitsbedingungen an- hand des Mitarbeiterumschlags, während ein anderer dafür die Anzahl der arbeitsbe- zogenen Gerichtsverhandlungen verwendet. Beides erscheint geeignet, aber die daraus abgeleiteten Einschätzungen können durch- aus variieren. Das liegt auch daran, dass die Indikatoren sowohl auf Instrumenten wie der Existenz eines Verhaltenskodex, aber auch auf Ereignissen wie der Häufigkeit be- stimmter Vorfälle beruhen können. Zudem können die Daten aus ganz unterschiedli- chen Quellen wie Unternehmensberichten, Umfragen oder Medienberichten stammen. 3. Abweichende Gewichtungen: Die einzel- nen Kategorien haben unterschiedliche rela- tive Bedeutung für das finale Rating. Wäh- rend ein Anbieter zum Beispiel die Lobbyaktivitäten höher gewichtet, bezieht ein anderer die Arbeitsbedingungen stärker mit ein. Da diese drei Effekte mit- einander zusammenhängen, möchten die Forscher als Nächstes herausfinden, wie stark sich jeder davon letztlich auswirkt. Dazu kategorisieren sie die insgesamt 709 bereit- gestellten Indikatoren in 65 gemeinsame Kriterien, deren Scores für jeden Anbieter sepa- rat berechnet werden. Mithilfe statistischer Methoden wird dann untersucht, wie stark die einzelnen Faktoren zur beob- achteten Diskrepanz beitragen. PRI-Unterzeichner Seit 14 Jahren im Aufwärtstrend Die Principles for Responsible Investment wurden seit dem Start im Jahr 2006 von inzwischen mehr als 3.000 Gesellschaften unterzeichnet, die gemeinsam über 100 Billionen US-Dollar an Vermögenswerten managen oder besitzen. Quelle: www.unpri.org 0 20 40 60 80 100 120 140 0 500 1.000 1.500 2.000 2.500 3.000 3.500 2020 2015 2010 2006 AuM in Bio. USD Anzahl Unterzeichner Anzahl Unterzeichner Anzahl der Asset Owner Assets under Management Asset Owner Assets under Management » ESG-Ratings sind noch ein junges Gebiet, und die Definition von Nach- haltigkeit ist von Natur aus fließend. « Florian Berg, Postdoctoral Associate, MIT Sloan 142 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | E SG - RAT I NGS FOTO : © M I T S LOAN

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