Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

ziert“ hat: Die wahren Wurzeln des Pro- blems liegen viel tiefer: Verantwortlich für die Zombiehorde sollen Kritikern zufolge die Zentralbanken mit ihrer zu expansiven Geldpolitik und den damit einhergehenden Niedrigzinsen sein. Zu diesen Kritikern zählt beispielsweise der Vermögensver- walter und Buchautor Prof. Max Otte: „Ein Resultat der Nullzinspolitik ist die zuneh- mende ,Zombifizierung‘ der Wirtschaft: Unternehmen, die eigentlich nicht überleben dürften, werden weiter durchgeschleppt. In diesen Unternehmen gibt es dann viele un- produktive ,Bullshit-Jobs‘. Das passiert auch jetzt wieder, gerade nach und in der Coronakrise.“ Ottes Kritik beziehungsweise Argumentation überrascht auf den ersten Blick: Intuitiv würde man doch annehmen, dass gerade sehr niedrige (Kredit-)Zinsen Unternehmen helfen, ihre dadurch geringere Zinslast leichter zu schultern und auf diese Weise finanziell zu gesunden. Es könnte aber doch an den immer nied- rigen Zinsen liegen, die eine Marktbereini- gung verhindern oder zumindest in die Län- ge ziehen. Wie die erwähnte BIZ-Studie zeigt, steigt die Zombie-Quote seit den 1980er-Jahren an. Parallel dazu gibt es seit damals einen übergeordneten globalen Trend zu niedrigeren Zinsen und zu höheren Verschuldungsquoten bei Staaten und auch Unternehmen. Gerade wegen dieser höhe- ren Schulden und der damit gestiegenen sy- stemischen Risiken mussten die Zentralban- ken bei jeder drohenden Rezession oder größeren Marktverwerfung an den Finanz- märkten mit Zinssenkungen und später auch mit umfangreichen Anleihenkäufen (Quan- titative Easing) antworten, um Real- und Fi- nanzwirtschaft neuen Lebenssaft in Form von mehr und billigerer Liquidität zu spen- den. Niedrig- beziehungsweise Negativzin- sen erschweren aber insbesondere den Ge- schäftsbanken das Leben, vor allem in der Eurozone. Dahinsiechende Banken Aufgrund niedrigerer Zinsspannen bezie- hungsweise auch einer weniger steilen Zins- kurve verlieren Kreditinstitute peu à peu ihre wichtigsten Ertragsquellen und können mangels Gewinnschwäche Kreditausfälle weniger gut verdauen. „Den Banken bleibt keine andere Wahl, als den schlechten Schuldnern besonders günstige Kredite zu geben, weil sie die Abschreibung des Kre- dits selber nicht überleben“, erklärt Stelter und erinnert an das aus Japans „verlorener Dekade“ bekannte „Evergreening“ unter- kapitalisierter Banken. „Damit bleiben noch mehr schlechte Schuldner am Markt, was zu Überkapazitäten und Preisdruck führt und so das Geschäft auch für die gesunden Mitbewerber erschwert.“ Da Banken Zom- bie-Kredite immer wieder prolongieren und niemals fällig stellen, fehlt ihnen die Kredit- vergabekapazität, um gesunden Unterneh- men Kredite zur Finanzierung weiterer wachstumsfördernder Investitionen zu ge- währen. Dass europäische Banken nicht nur ein Ertragsproblem, sondern wohl auch ein Problem mit ihren Aktiva, insbesondere den ausgereichten Darlehen, haben, zeigt ein Blick auf die Bewertung der meisten Bank- aktien. So notieren diese zum Teil mit Abschlägen von 70 Prozent oder mehr zum Buchwert. Offenbar erwartet der Markt massive Abschreibungen seitens der Ban- ken auf ihre ausgereichten Darlehen oder befürchtet angesichts dieser „Distressed“- Bewertungen bereits den Zusammenbruch dieser „Zombie-Banken“. Laut Kritikern wie Krall sind viele europäische Banken bei korrekter Bilanzierung bereits selber Ret- tungskandidaten. Das schwelende Problem ignorieren Krall zufolge die Aufsichten aber geflissentlich beziehungsweise schieben sie zu treffende unangenehme Entscheidungen derzeit noch auf die lange Bank. Irgend- wann sollten sich aber Regierungen, Zen- tralbanken und Aufsichten dieses explosi- ven Problems wohl annehmen. Schließlich werden die Folgeschäden von Tag zu Tag größer und vergiften die Realwirtschaft. Die Zombifizierung zeigt sich an wichtigen volkswirtschaftlichen Stellgrößen. Eine davon ist die Produktivitätsentwicklung, die seit Jahren trotz allen technischen Fort- schritts zu wünschen übrig lässt und damit wohlstandsmindernd ist. Produktivität leidet Laut der NBER-Studie sind Zombie- Unternehmen weniger produktiv als ihre gesunden Mitbewerber: Gemessen an Krite- rien wie „Arbeitsproduktivität“ und „Totaler Faktor Produktivität“ erreichen Zombies nur die Hälfte des Niveaus ihrer Mitbewer- ber. „Nur halb so hoch ist ein deutlicher Unterschied, der sicherlich einer der Haupt- gründe für die unzureichende Produktivi- tätsentwicklung der letzten Jahre ist“, kom- mentiert Stelter. „Kein Wunder, dass die Produktivitätsfortschritte seit Jahren im Einklang mit dem steigenden Anteil an Zombies immer mehr zurückgehen.“ Die NBER-Studie bestätigt damit die in Japan gemachten Erfahrungen nach dem Platzen der Blase in den 1990er-Jahren, die von den drei Wissenschaftlern Ricardo Caballero, Takeo Hoshi und Anil Kashyap in der 2008 erschienenen Publikation „Zombie Lending and Depressed Restructuring in Japan“ ana- lysiert wurden. Jene Branchen, in denen mehr Zombie-Unternehmen aufgrund wei- terhin gewährter Bankdarlehen aktiv waren, verzeichneten ein niedrigeres Produktivi- » Ein Resultat der Nullzinspolitik ist die zunehmende ›Zombifizierung‹ der Wirtschaft. « Prof. Max Otte, Ökonom und Vermögensverwalter » Joseph Schumpeters ›Reinigungskrise‹ findet nicht statt. « Prof. Hans-Werner Sinn, früherer Präsident des ifo-Instituts N o. 4/2020 | www.institutional-money.com 107 T H E O R I E & P R A X I S : GE LDPOL I T I K

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