Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

Dieser Zusammenhang lässt sich für kei- ne andere Branche belegen. Zingales argu- mentierte 2015, ohne angemessene Regeln könnten Finanzaktivitäten nur noch dazu dienen, sich auf Kosten anderer persönlich zu bereichern und dabei auch moralische Grundsätze zu missachten. Die Arbeit von Limbach, Rau und Schürmann er- gänzt diese Forschungsansicht. Eine Konsequenz dieses Vertrauens- verlustes in die Finanzindustrie ist die Entwicklung der Blockchain-Techno- logie, die es Menschen ermöglicht, Finanztransaktionen auch ohne Inter- mediäre, also beispielsweise Banken oder Börsen, durchzuführen. Aktueller Bezug gegeben Die Erkenntnisse der Studie haben aber auch Auswirkungen auf die Bail-out-Pro- gramme, die Regierungen während Krisen in Kraft setzen, inklusive der Programme zur Abfederung der Auswirkungen der Coronakrise. Ein Mangel an Vertrauen unter den Finanzprofis kann den Bemühungen der Regierungen bei der Implementierung von Kreditprogrammen und anderen Maß- nahmen zur Krisenbewältigung zuwider- laufen. Banken müssen beispielsweise den Handlungen von Zentralbanken und Regie- rungen vertrauen können, damit die Geld- häuser auch entsprechend Kredite aus- reichen. In der Coronakrise ist dies ebenso relevant, da die Regierungen zum Teil nur relativ weit gefasste Anforderungen an ihre Bail-out-Programme definieren, die die Notwendigkeit für einen impliziten Regulie- rungsmechanismus – wie Vertrauen – erhö- hen. Wenn Banken nicht auf die Stimuli der Regierung reagieren, indem sie die Kredit- beschränkungen angemessen lockern, hat dieser Vertrauensmangel direkte Konse- quenzen in der Realwirtschaft. Ein Beispiel ist die Antwort auf das 2020 Paycheck Protection Program in den USA. Dieses wurde eigentlich ins Leben gerufen, um kleineren Unternehmen, die in finanziellen in Schwierigkeiten stecken, zu helfen. Sie hätten diese Mittel nicht zurückzahlen müs- sen, solange sie keine Angestellten freisetz- ten, jedoch landete ein Gutteil der Gelder bei Großunternehmen, die die Banken als Empfänger favorisierten. Während die Konzerne nun meist gut finanziert sind, sieht es bei den KMU in den USA deutlich schlechter aus. Des Weiteren trägt die Studie zur Unter- suchung von langfristigen Trends in der Finanzindustrie bei. Frühere Arbeiten be- fassten sich zum Beispiel mit den Gründen für das enorme Wachstum der Finanzbran- che in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- derts, der Entwicklung der Kosten in der Finanzintermediation sowie den Trends bei Gehältern und Ausbildung. Limbach, Rau und Schürmann halten sich zugute, die erste Studie über den langfristigen Trend eines sozialen Faktors, nämlich des allgemeinen gesellschaftlichen Vertrauens, im Finanzbe- reich vorgelegt zu haben. DR. KURT BECKER Robert D. Putnam und das „Kapital des Vertrauens“ Ein hohes Sozial- sprich Vertrauenskapital senkt Kosten in Wirtschaft und Politik. D er 1941 geborene Robert David Putnam ist ein renommierter und vielfach mit Preisen bedachter So- ziologe, Politikwissenschaftler und Har- vard-Professor. In seinen Arbeiten beschäf- tigt sich Putnam insbesondere mit den Themen „Soziales Vertrauen,“ „Zivilgesell- schaft“ und „Soziales Kapital“. In „Making Democracy Work“ macht er interpersonale Netzwerke, soziales Vertrauen und ge- meinschaftsbezogene Normen und Werte für die Leistungsunterschiede italienischer Regionalverwaltungen nach einer Reform der Regionenordnung verantwortlich. Nicht der ökonomische Entwicklungsstand, sondern soziales Kapital sei die wichtigste Voraussetzung für die Effizienz demokrati- scher Institutionen. In seinem im Jahr 2000 als Studie erschienenen Buch „Bow- ling Alone“, konstatierte er den Niedergang des bürger- schaftlichen Engagements. Dies erregte viel Aufsehen und brachte ihm Einladungen von US-Präsidenten und Regierun- gen ein. Zudem erarbeitete Putnam die Two-Level-Game- Theorie, die zu dem Schluss kommt, dass internationale Abkommen nur erfolgreich vermittelt werden können, wenn sie auch auf nationaler Ebene Nutzen bringen. Laut Robert Putnam lässt sich Sozialkapital als Kapital des Vertrauens übersetzen, das alle Verhaltensdispositio- nen von Bürgern umfasst, die Beiträge zur Senkung von Transaktionskosten in Wirt- schaft und Politik leisten. Die Grundidee des Sozialkapi- tal-Ansatzes besteht darin, dass soziale Netzwerke – Familie, Freunde und Be- kannte – einen wichtigen Wert darstellen und positive externe Effekte sowohl für den Einzelnen wie auch für Gruppen beziehungsweise größere soziale Gebilde und insbesondere für die Demo- kratie zur Folge haben. Wie Putnam selbst einräumt, steht hinter dem Sozialkapital-An- satz ein ziemlich schlichter Gedanke, näm- lich dass soziale Netzwerke sowohl aus steuerungs- wie demokratietheoretischer Sicht positive Wirkungen hervorrufen. Harvard-Professor David Putnam erhielt eine der weltweit wichtigsten Auszeichnungen für Politikwissenschaftler. » Vertrauen kann Kosten der Interessen- konflikte zwischen den Akteuren in wirt- schaftlichen Beziehungen verringern. « Prof. Dr. Peter Limbach, CFR-Juniorprofessor für das Fach „Investments“ an der Universität zu Köln 102 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | VE R T RAUEN I N D I E F I NANZ I NDUS T R I E FOTO : © HA R VA RD, UN I V E R S I T Ä T ZU KÖL N

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