Institutional Money, Ausgabe 4 | 2020

Experten in der Finanzindustrie als auf die Bevölkerung haben. Die Selektionshypothe- se wiederum postuliert, dass sich der Typus der in der Finanzwirtschaft Tätigen im Lauf der Jahre verändert hat und die Änderung in der Zusammensetzung der Arbeitnehmer- schaft das Vertrauensniveau des Einzelnen verändert. Die Sozialisationshypothese hin- gegen formuliert, dass Änderungen in der Arbeitsweise der Finanzindustrie mit der Zeit zu weniger Möglichkeiten der menschlichen Interaktion führt, sodass der Aufbau von allgemeinem Vertrauen schwieriger wird. Die Autoren testen jede dieser drei Hypothesen und finden Belege dafür, dass alle drei Erklärungsansätze einen Beitrag zum Verlust von gesellschaft- lichem Vertrauen bei Finanzexperten geleistet haben könnten. Konsistent mit der ersten Hypothese zeigt sich, dass Faktoren, die stellvertretend für die wirtschaftlichen Bedingungen in den USA stehen (Proxies), überproportional stärker mit dem Vertrauen unter den Finanz- Professionals als mit dem Vertrauen des Durchschnittsamerikaners korreliert sind. Im Besonderen steht die Einkommensun- gleichheit, die man mit dem Gini-Konzen- trationskoeffizienten misst, in einer stark negativen Beziehung zum Vertrauen, wäh- rend das Wirtschaftswachstum, das sich in der Veränderung des BIP manifestiert, stark positiv mit dem Vertrauen des einzelnen Beschäftigten in der Finanzindustrie korre- liert. Der Gini-Koeffizient ist zudem wäh- rend des Untersuchungszeitraums signifi- kant gestiegen, was die Vermutung nahe- legt, dass die wirtschaftlichen Bedingungen eine mögliche Erklärung für den Vertrau- ensverlust darstellen. Die wissenschaftliche Literatur führt ins Treffen, dass ein heterogeneres berufliches Umfeld in Beziehung zum schwindenden Vertrauen des Einzelnen steht. Das Autoren- trio belegt, dass ein größerer Anteil an sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften, eine eth- nisch stärker diversifizierte Belegschaft und eine größere Einkommensungleichheit in der Finanzindustrie mit einem niedrigeren Vertrauensniveau korreliert sind. Im Gegen- satz dazu ist ein höherer Frauenanteil mit einem höheren allgemeinen Vertrauensni- veau korreliert. Interessanterweise ist der Anteil sehr gut Ausgebildeter unter den Finanzprofis überproportional gestiegen, während der Anteil von Frauen relativ zum US-Trend zurückgegangen ist. Diese Ände- rung in der Zusammensetzung der Beschäf- tigten in der Finanzwirtschaft über die letz- ten Jahrzehnte liefert eine zweite mögliche Erklärung für die Erosion von Vertrauen. Schließlich dokumentieren Limbach, Rau und Schürmann, dass die Schaffung von Sozialkapital durch soziale Aktivitäten in der Finanzindustrie seltener geworden ist als in der restlichen US-Bevölkerung. Die Angestellten in der Finanzbranche arbeiten länger und sind seltener Mitglied in sozialen Gruppen als früher. Im Besonderen hat der Anteil an Finanzexperten abgenommen, die in ihrer Freizeit in einer Gruppe sind, die nur dem gegenseitigen sozialen Austausch dient – etwa als Mitglieder in einem Litera- turclub. Diese beiden Trends – ein absoluter und relativer Anstieg an geleisteten Arbeits- stunden und eine gleichzeitige Verringerung sozialen Engagements – lassen sich in kei- ner anderen Branche als der Finanzindustrie wiederfinden. Einordnung Die vorliegende Studie trägt zur Debatte um Ethik und Fehlverhalten in der Finanz- industrie bei. Cohn, Fehr und Maréchal de- monstrierten 2014, dass Banker beträchtlich unehrlicher werden, sobald sie an ihren Beruf als Finanzexperten erinnert werden. Entwicklung des Vertrauens in Institutionen und Gruppen Getrennt nach Leuten in der Finanzindustrie und restlichen US-Bürgern Geschätzte Trends in der Zeitabfolge betreffemd das Vertrauen je Gruppe: Personen aus der Personenen außerhalb der Finanzindustrie Finanzindustrie Differenz PANEL A | FINANZINSTITUTIONEN Banken und andere Finanzinstitutionen -0,337* -0,331*** -0,00631 (-2,04) (-3,87) 0,962 PANEL B | GRUPPEN, DIE SPEZIELL FÜR DIE FINANZINDUSTRIE RELEVANT SIND Großunternehmen -0,596*** -0,356*** -0,240*** (-6,47) (-6,46) 0,00378 Exekutive der -0,293** -0,101 -0,193*** bundesstaatlichen Regierung (-2,35) (-1,49) 0,00755 Kongress -0,277*** -0,169** -0,108** (-3,88) (-3,26) 0,0222 PANEL C | GRUPPEN, DIE NICHT SPEZIELL FÜR DIE FINANZINDUSTRIE RELEVANT SIND U.S. Supreme Court -0,260 -0,159* -0,101 (-1,39) (-1,93) 0,445 Militär 0,963*** 0,853*** 0,110 (8,05) (13,21) 0,420 Presse -0,343*** -0,370*** 0,0275 (-6,10) (-8,46) 0,633 Wissenschafts-Community -0,391** -0,173*** -0,217 (-2,59) (-4,41) 0,148 Die zumeist negativen Vorzeichen belegen, dass das Vertrauen schwindet. Signifikante Unterschiede im Vertrauen der Normalbürger einerseits und der in der Finanzindustrie Beschäftigten andererseits gegenüber Großkonzernen, der Exekutive der US-Regierung und dem Kongress: Finanzprofis vertrauen diesen Organisationen deutlich weniger. Signifikanzniveaus von 90/95/00 Prozent sind mit */**/*** markiert. Werte des t-Tests in Klammern. Quelle: Studie » Unsere Erkenntnisse haben auch Implikationen für die Ausgestaltung von Rettungsprogrammen in Krisenzeiten. « Henrik Schürmann, Doktorand am Lehrstuhl für Finanzwirtschaft und Corporate Governance der Bergischen Universität Wuppertal 100 N o. 4/2020 | www.institutional-money.com T H E O R I E & P R A X I S | VE R T RAUEN I N D I E F I NANZ I NDUS T R I E FOTO : © UN I WU P P E RTA L

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