Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

Es ging dabei unter anderem um Seitenwin- de, Flugzeugausstattung, Digitalisierung von Flugzeugen, reine Mathematik usw. Heute ist ja weniger Diversifizierung, son- dern eher die Konzentration auf Kern- kompetenzen das Schlagwort … Ja, hier hat eine Änderung der Sichtweise stattgefunden. Unser Glaubensbekenntnis war früher: Ein Konzern, ein Name, ein Brand, bloß nichts zerlegen! Joe Kaeser hat damit gebrochen. Er hat etwa Healthineers, die Medizintechnik, herausgebrochen, und momentan wird der Energiebereich „Sie- mens Energy“ ausgegliedert. Damit werden die Zentrifugalkräfte größer. Kaeser begrün- det sein Vorgehen damit, dass so unter- schiedliche Geschäfte nicht zusammenge- führt werden können. Aber genau das konn- ten wir! Wir waren bei Siemens in der Lage, von der Mikroelektronik über den Linearbeschleuniger bis hin zum Kernkraft- werk alle Geschäfte zusammenzuführen. Wieso hatte das bei Siemens geklappt und zum Beispiel bei Daimler nicht? Daimler – damals Mercedes Benz – hatte die AEG gekauft und wollte wie Siemens ein diversifizierter Technologiekonzern wer- den. Das war Schrempps Traum. Aber die damalige Daimler Benz hatte kein so breit angelegtes Führungsmodell wie Siemens. Die Diversifikationsstrategie hat die dann entstandene Daimler-Chrysler an den Rand des Abgrunds gebracht und das Unterneh- men zurückgeworfen, weil es sich nicht vernünftig um sein Kerngeschäft geküm- mert hat. Sie mussten dann einzelne Teile wie AEG Bahntechnik oder MTU weiter- geben. Siemens hatte hingegen ein unglaub- lich differenziertes Führungssystem. Wie sah das aus? Wir haben unser Unternehmensportfolio sehr systematisch betreut. Von allen rund 250 Geschäftsfeldern wurden die Daten ge- sammelt. Auf die zentrale Datenbasis hatte das Management des jeweiligen Geschäfts Zugriff. Gleichzeitig wurden alle Bereiche in die zentrale Strategie eingebunden. Wenn etwa ein M&A-Projekt bei Siemens an- stand, musste der Bereich einen Antrag stel- len, den wir in der Zentrale beurteilen und kommentieren mussten. Der Antrag ging dann mit unseren Kommentaren an den Zentralvorstand. Im Rahmen meiner M&A- Aktivitäten habe ich so 1.500 Gesellschaf- ten bei Siemens umgebaut. Um glaubwür- dig zu sein, mussten wir als M&A-Spezia- listen in der Zentrale so gut sein, dass die Bereiche sagten: Wir brauchen euch als Fachleute für die Unternehmensbewertung und zur Beschleunigung der Prozesse. Am Ende waren wir tatsächlich in der Lage, gegenüber Private Equity und anderen Leuten, die sehr schnell agieren können, zu bestehen und einen M&A-Antrag innerhalb von drei Tagen durchzuboxen. Aber haben nicht auch kleinere Einheiten Vorteile? Viele reden von Größenvorteilen, von Scale. Eigentlich müssten dann ja die Gro- ßen alle Kleinen verdrängen. Warum tun sie das aber nicht? Weil die Großen oft so behäbig sind und damit ihre Größenvorteile verspielen. Dadurch kann der Mittelstand prächtig existieren. Die zentrale Idee in einem Konzern ist: Wie kann man einen diversifizierten Konzern in seiner Vielfalt so führen, dass er schnell und beweglich ist? Sie haben im Februar ein Buch zum Thema „Der Wettlauf um die Digitalisierung: Po- tenziale und Hürden in Industrie, Gesell- schaft und Verwaltung“ veröffentlicht. Was sind die drei wichtigsten Punkte darin? Als Erstes geht es um den Außendruck: Wie stehen wir bei der Digitalisierung im Wett- lauf da? Hier spielen die beiden größten Protagonisten, die USA und China, eine große Rolle, wir in Deutschland hingegen kaum. Wenn man die Börsenwerte der füh- renden Unternehmen im Bereich Digitali- » Stark können wir nur durch den europäischen Verbund sein. « Prof. Dr.-Ing. Kai Lucks, Honorarprofessor für M&A und geschäftsführender Gesellschafter des MMI Merger Management Instituts A L L E F OTO S : © S E B A S T I A N W I DMA NN 62 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com THEOR I E & PRA X I S : KA I LUCKS | MERGER MANAGEMENT INS T I TUT

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