Institutional Money, Ausgabe 3 | 2020

renz, Vergleichbarkeit und Standardisierung zu erhöhen. Problematisch dabei ist, dass der Feedback-Prozess nicht standardisiert ist und von Provider zu Provider unterschiedlich ausfällt. Auch sind nicht alle Ratinganbieter transparent, was ihre Prozesse anbelangt. Mittlerweile gibt es mehr als 150 ESG-Ra- tingagenturen, und alle benutzen ihre eige- nen Kriterien, was sich in unterschiedlichen Fragebögen niederschlägt, die unterschied- liche Daten und Informationen abfragen. Sollte ein Investor seine Anlageentscheidun- gen ausschließlich auf Basis dieser ESG- Ratings fällen, wäre das sehr bedenklich. Ein niedriges ESG-Rating – oder gar das Fehlen eines solchen – kann dazu führen, dass der Aktienkurs dadurch nicht an seinen fairen Wert herangeführt wird. Für einen vernünftigen Umgang mit ESG-Ratings ist eine Voraussetzung, diese auch kritisch zu hinterfragen und mit eigenen Recherchen anzureichern, um die Zukunftsdimension besser einzufangen, als das bei Ratings ge- schieht, die sich meist auf Daten aus der Vergangenheit stützen. ESG-Ratings sind „work in progress“ und trotz aller Bemü- hungen noch nicht wirklich überzeugend – allerdings kursbeeinflussend, wie man beim Internetmodeeinzelhändler Boohoo (siehe Kasten) sehen konnte. DR. KURT BECKER te tatsächlich der Ansicht sein, dass Boohoo ein vergleichsweise gutes Invest- ment wäre. Klement: „Das übersieht aller- dings ein großes Problem beim ESG-In- vestieren, denn es gibt keine einheitlichen Offenlegungsstandards. Jede Firma ist frei, die Kenngrößen auszusuchen, die es berichten möchte.“ Keine einheitlichen Offenlegungsstandards Offenlegungen in Bezug auf ESG-rele- vante Daten seien mit dem Einsatz von Zeit und Geld verbunden. Speziell kleinere Firmen hätten gar nicht die Kapazitäten, um so viel Information bekanntzugeben wie die großen Player. ESG-Investoren und Ratingagenturen wollten natürlich so viel Information wie möglich erhalten, müssten aber das nehmen, was ihnen die Unter- nehmen zukommen ließen. Um nicht unfairerweise kleinere Unternehmen zu bestrafen, würden oft Ratingeinstufungen aufgrund der verfügbaren Daten getroffen – und die Tatsache, dass Daten fehlen, werde ignoriert. Manipulation Diese Praktik ermöglicht es bestimmten Firmen, die etwas zu verstecken haben, nur für sie günstige Informa- tionen zum Unternehmen zu publizieren. So hübscht man sich auf für die ESG-Investo- ren und stellt damit Firmen in den Schatten, die im Gro- ßen und Ganzen bessere Praktiken aufweisen, aber mehr Informationen über ihr Geschäft bekannt machen. Hier ist die wichtige Informa- tion das Fehlen von Informa- tion, hält Klement fest. Der „Fashion Transparency In- dex“ befasst sich mit mehr als 200 Mode- marken weltweit und analysiert, wer wie viel von sich preisgibt. Hier geht es also nur um das Ausmaß von Transparenz, nicht um eine Wertung der Unternehmens- praktiken. Vergleicht man hier die drei Online-Retailer, hätten die rote Flaggen wehen müssen, denn Boohoo gab in jeder Kategorie des Transparenzindex viel weni- ger Daten bekannt als Asos und Zalando. In puncto Nachvollziehbarkeit erhielt Boohoo nämlich null Punkte (siehe Grafik „Transparenz im Detail“) . Das Unternehmen gab überhaupt nichts dazu bekannt, wo man einkauft bezie- hungsweise fertigen lässt und wo die Roh- materialien herkommen. Und genau da lag ja auch der Hase im Pfeffer. Klement: „Damit will ich nicht sagen, dass die Unternehmensführung absichtlich den Skandal bei dem Zulieferer vertuschen wollte oder systematisch Information zu den Arbeitsbedingungen in der Lieferkette zurückgehalten hat. Das müssen die lau- fenden Ermittlungen erst untersuchen.“ Fazit Verantwortungsvollen ESG-Analytikern und Investoren hätte klar sein müssen, dass die mangelnde Nachvollziehbarkeit – auch im relativen Vergleich mit den Peers – ein potenzielles Risiko darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass die Investmentgemeinde die richtigen Lehren aus diesem Flop zieht und ihr Augenmerk verstärkt auf den Of- fenlegungsgrad richtet. Sonst erwartet sie in Bälde ein weiterer Gau. Ein Weckruf ist Boohoo allemal. Mitte August notierte die Aktie im Übrigen fast bei 300 Pence und hatte damit die Hälfte der Wegstrecke nach unten bereits wieder wettgemacht, weil das Management, durch das Aufpop- pen des Skandals aufgeschreckt, Besse- rung gelobte und den Zulieferer auslistete. Vielleicht werden ja einmal diese soge- nannten „Fallen Darlings“ der ESG-Inves- toren ein lohnendes Jagdrevier für restrik- tionsfreie Investoren, die ihre Investments nicht durch die ESG-Brille betrachten und Fire Sales durchführen, denn anders ist der rapide Kursverfall von Boohoo nicht zu deuten. Irgendwie fühlt man sich an „Fal- len Angels“ erinnert, die auf- grund der Fondsbestimmun- gen nach dem Abschied vom Investment-Grade-Rating zü- gig abverkauft werden, so- dass High-Yield-Investoren nur mehr die Hände aufhal- ten müssen. Boohoo scheint zu zeigen, dass ein überzo- gener Kursverfall für Non- ESG-Investoren Chancen bietet, auf Mean Reversion und mittelfristig auf ein hö- heres ESG-Rating zu setzen. So haben dann auch ESG- Pleiten und die Unvollkom- menheit der ESG-Ratings ihre schönen Seiten. Transparenz im Detail Beim Punkt Nachvollziehbarkeit erhielt Boohoo null Punkte. Die rote Flagge hätte wehen müssen, denn Boohoo gab in jeder Kategorie des Transparenzindex viel weniger Daten bekannt als die Mitbewerber Asos und Zalando. Quelle: Fashion Transparency Index 0 10 20 30 40 50 60 Special Issues Due Diligence Tracebility Governance Policy Fashion Transparency Index | Scores der Einzelkomponenten Boohoo ASOS Zalando Fortsetzung  224 N o. 3/2020 | www.institutional-money.com P R O D U K T E & S T R A T E G I E N : E SG

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